MacKenzie 01 - Der Verfuehrer Im Kilt
Verständnis starrte Linnet auf die seltsam langen Schatten, beobachtete, wie sie Form arm annah men und sich in ein Kiefe rn gehölz verwandelten.
Das Summen erreichte ein durchdringendes Niveau und tat ihr in den Ohren weh. Dann, stieg eine Nebelwolke vom Boden auf, die alles zudeckte, bis auf den Kreis aus Kiefern ... und das Bett.
Entsetzen schnürte ihr die Kehle zu, ihr Herz klopfte zum Zerspringen, und ihre Stirn war plötzlich übersät mit Schweißperlen. Es ist nur eine Vision, nur eine Erscheinung, sagte sie sich immer wieder, während sie sich verzweifelt an das Wissen klammerte, dass die Erscheinung jeden Augenblick wieder vergehen würde.
Das taten sie immer.
Aber diese hier war anders.
Anders, aber beängstigend vertraut.
Linnet biss sich auf ihre Unterlippe, bis sie blutete, um den Aufschrei zu ersticken, der in ihrer Kehle aufstieg. Sie durfte nicht schreien, durfte ihren Mann nicht wecken.
Sie hatte es schon schwer genug mit ihm, ohne dass er sie mitten in einem ihrer »Anfälle« erlebte, wie ihr Vater die Visionen zu nennen pflegte.
Sie biss noch fester auf ihre Unterlippe, schloss die Augen und hoffte, dass die Vision vergangen sein würde, wenn sie sie wieder öffnete. Aber der Druck in ihrem Kopf und das Summen in ihren Ohren wurden nur noch schlimmer.
Sie musste Hinsehen.
Der Albtraum würde nicht eher enden, bis sie es getan hatte.
Furcht schnürte ihre Brust zusammen und presste ihr den Atem aus den Lungen, aber sie öffnete die Augen und sandte ihren Blick in die Richtung, in die sie schauen musste.
Direkt durch den Nebel zu der reglosen Gestalt, die ausgestreckt auf ihrem Bett lag.
Die Vision dort blickte sie aus Augen an, die so voller Qual und Leid waren, dass ihr erster Anblick sie zusammenfahren ließ.
Es war der schwarze Hirsch.
Das Tier, dessen Herz herausgerissen worden war.
Blut rann über ihr Kinn, als ihre Zähne sich noch tiefer in ihre Unterlippe gruben, und erfüllte ihren Mund mit seinem blechernen, metallischen Geschmack.
Sie versuchte wegzusehen, aber es gelang ihr nicht. Wie gelähmt, gefesselt von einer weitaus stärkeren Kraft als ihrer eigenen, sah Linnet zu, wie sich das beängstigende Bild entwickelte.
Nun bewegte sich das unglückselige Wesen auf dem Bett und veränderte seine Form, wie sie es schon erwartet hatte, und vor ihren Augen wurde aus dem Hirsch der Mann.
Der Mann, dessen Identität sie heute kannte.
Ihr Ehemann.
Der Mann ohne Herz.
Und wie das Tier blickte Duncan MacKenzie sie Hilfe suchend an.
Gequälte Augen hielten sie in ihrem Bann und machten es ihr unmöglich, irgendwoanders hinzusehen.
Wie zuvor, streckte er seine blutüberstömten Hände nach ihr aus. Aber diesmal bewegte sich sein Mund und formte lautlose Worte, während sein gequälter Blick sie gefangen hielt.
»Bitte ... ich brauche...«, flehte er mit rauer, gebrochener Stimme.
Seine Qual umhüllte sie und erstickte sie in einem Würgegriff, aus dem sie sich nicht befreien konnte. Sie konnte nur reglos dastehen wie eine Statue und beten, dass die Vision bald endete, weil sie sonst vor Angst umkommen würde.
»Bitte ...«, sagte er noch einmal, aber das Wort verblasste und endete in einem rauen Seufzer.
Auch der Nebel begann sich aufzulösen. Die eben noch so dichten Schwaden zogen sich in den Fußboden zurück, von dem sie zuvor aufgestiegen waren. Und die hohen Schatten an den Wänden waren wieder nichts als das, nur Schatten.
Der kleine dunkle Wald, den sie soeben noch gesehen hatte, war verschwunden.
Sie hörte noch das Summen, aber auch das ließ mit der Rückkehr der normalen nächtlichen Geräusche nach: dem leisen Prasseln des Regens gegen die geschlossenen Fensterläden und dem Seufzen des Winds, der das unheimliche Summen vertrieb, das derartige Visionen stets begleitete.
Nur er blieb, und mit jedem Atemzug, den Linnet tat, wurde sein verheerender Zustand von noch beängstigenderer Klarheit, seine Qual etwas Lebendiges und Greifbares.
Das Bild war so real, dass sie das Blut riechen konnte, das aus der Wunde in seiner Brust strömte, die feuchte Wärme der dunkelroten Flecken auf dem Bettzeug spürte und seinen Lebenssaft auf den Boden tropfen hörte, wo er eine Pfütze bildete, die die Binsen färbte.
Aye, es war sehr real.
Zu real.
Linnets Finger gruben sich in das Plaid und hielten es so fest umklammert, als könnte das bisschen Wolle sie vor dem alb-traumhaften Anblick vor ihr schützen.
Verzweifelt wandte sie den Blick ab und starrte stattdessen
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