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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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nach der Keksdose und verteilte Teller auf dem Tisch, während in der nachmittäglichen Stille ein leichter Wind die karierten Baumwollvorhänge bauschte und das leise Quietschen der Schaukel im Nachbarsgarten zu ihr herübertrug: kriek-kriek … kriek-kriek. Die Untertassen klapperten auf der neuen Resopalplatte, in der Küche roch es nach frisch gebackenem Maismehlkuchen, und über ihre Wangen liefen Tränen und tropften auf die goldgelbe Kruste, als sie ihn aus dem Ofen nahm. Ach, wenn sich die Uhr doch zurückdrehen ließe. Aber bis zu welcher Stunde und welchem Tag? Und welche Entscheidung wäre dann zu treffen?
    Sie räusperte sich und rief nach oben, Joey solle zum Tee herunterkommen.
    Er hörte sie rufen, rührte sich jedoch nicht vom Fleck, kniete weiter auf dem Wollteppich und stellte vor seiner hölzernen Arche paarweise Tiere auf. Einige der Tiere hatte er nicht gekannt, als er die Arche zu seinem sechsten Geburtstag bekommen hatte – die Giraffen mit den langen Hälsen, die gestreiften Tiger –, dafür gab es andere, die Noah nicht an Bord haben wollte, während Joey fand, dass sie dabei sein sollten, deshalb hatte er aus Papier zwei winzige Kraniche, zwei hüpfende Frösche und zwei Libellen gefaltet und hinter den Pferden und den Affen aufgereiht.
    Als er sich vorbeugte, um nach einem weiteren Tier zu greifen, merkte er, dass sich die Fäden des Teppichs in seine Knie gedrückt hatten und dort tiefe Linien hinterlassen hatten. Er fuhr mit dem Finger über die flüchtigen Narben, strich über die Vertiefungen, die sich beinahe so anfühlten wie eine dicht gewebte tatami -Matte. Er erinnerte sich daran, dass er vor langer Zeit einmal am Meeresufer entlanggegangen und über halb im Sand vergrabene Felsen gestolpert war; ihre Kanten waren so scharf wie Messerklingen, und es klebten winzige seidenglatte Muscheln und Seetang daran, der wie dunkelgrüne Spitze aussah. All diese Dinge, all diese Entdeckungen gehörten zu einem anderen Leben, so wie das Schlafen auf einem Futon statt in einem amerikanischen Bett auf einer weichen Matratze, die unter ihm einsackte und an die er sich erst hatte gewöhnen müssen. Unter seinen Füßen lagen dicke Teppiche statt der Reisstrohmatten. Inzwischen wunderte er sich nicht mehr über das, was ihm zunächst fremd erschienen war.
    Doch ab und an erklangen in seinem Kopf Worte und verwandelten sich in ein endloses Lied, Worte, aus denen Minuten wurden, Stunden, Tage eines Lebens, das im gleichen Maße verblasste, in dem ihm dieses riesige flache Land mit Weizenfeldern, die die Leute immerzu mit seinen Haaren verglichen, zur Heimat wurde. Um die Erinnerung an das alte Leben wachzuhalten, malte er manchmal Bilder von Felsen und Wasserfällen, von Nebel, der sich wie ein weißer Schal um Kiefern legte, er malte Schneekraniche mit roten Gesichtern und lustig aussehende Hühner in allen Größen und Formen.
    Auch Nancy hielt Hühner, aber die sahen alle gleich aus, rund und fleischig, als wären sie in einer Fabrik vom Fließband gelaufen. Nicht so wie die Hühner, an die er sich erinnerte, manche mit langen Federn, die ihnen über die Schultern fielen wie die Luftschlangen, die man hier bei Straßenparaden warf, andere pechschwarz und hager und drohend aufgerichtet. Und es gab so viele Farben, ihre Federn hatten bronzen, elfenbeinweiß und golden geschimmert.
    Er war zum Angeln am Strand gewesen, hatte nach den Fischen Ausschau gehalten, die verstecken spielten, indem sie einfach die Farbe des Wassers annahmen. Er vermisste den Geruch von Fisch, und er vermisste den Regen, manchmal kaum mehr als ein feiner Schleier, der die Blätter wusch, dann plötzlich voller Wut auf die Hügel niederprasselnd, sodass alles wie hinter einem Vorhang aus Eisenstäben verschwand.
    Sein Kopf war mit Wörtern und Sätzen angefüllt, Vergangenheit und Gegenwart vermischten sich, vertrautes Altes und neu Erlerntes – Baseball, ikebana , Popcorn, kamishibai , Kino, onsen , Kaugummi, sento , Coca-Cola, miso , Karamellbonbons, Radio, Steak, Hotdogs, Steak, Hamburger, Steak … Fleisch. So viel Fleisch. An diesem verschwommenen, immer mehr verblassenden Ort in seinem Kopf hatte er Tofu gegessen, Reis, Nesseln, Sprossen und dunkles, im Meer gesammeltes arame . Die Bissen wurden mit Essstäbchen von der Schale in den Mund befördert. Hier verschwand der Teller unter einem Berg Fleisch. Die Leute hielten eine Gabel in der rechten Hand und stachen damit auf das Essen ein, als wollten sie Pflanzen aus der

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