Madame Fabienne
man ihm nicht heimlich folgte.
*
Didier stand vorm Spiegel und zog den Knoten an seiner Krawatte enger: Ob den anderen auffallen würde, wie ausgebrannt er war? Ach was, er müsste sich nur gerade hinstellen, dann ging das schon wieder. Er strich sich mit einer Hand die schwarzen Haare zurecht, so machte er doch gleich einen besseren Eindruck. Aber die Augen sahen noch ganz aufgewühlt aus: Wenn man genau hinschaute, konnte man erkennen, dass hier etwas nicht stimmte.
Aber wer würde schon so genau hinschauen? Niemand. Eben.
Er schlüpfte in das schwarze Jackett und schloss die Knöpfe: Ob die Pariser Zentrale ihm alles gesagt hatte? Die Frau am Telefon hatte gemeint, der alte Gaston könne wieder gehen, brauche aber noch einen Stock dazu. Warum war der alte Drecksack auch nicht verreckt, warum hatte der sich nicht den Kopf so aufgestoßen, dass sein Hirn geplatzt war?
Eine Moment hielt er eine Hand vor die Augen und hörte dabei, wie sein Atem kam und ging. Was hatten die Leute nur aus ihm gemacht! Er dürfte sich das nicht länger gefallen lassen und müsste zurückschlagen. Wahrscheinlich war er aber auch zu lange hier drinnen gewesen. Gleich im Anschluss würde er nach draußen gehen und in dem Imbiss schräg gegenüber etwas essen, dann ginge es ihm auch wieder besser.
Für jedes Problem könnte man auch eine Lösung finden, natürlich.
Er verließ sein Zimmer und folgte dem Flur. Links und rechts gab es Tapeten mit einem Blumen-Muster. Das Licht war nur schwach, weil bloß wenige der Wandleuchten brannten. Er kam schließlich zum Fahrstuhl und musste warten, dabei fiel ihm auf, wie still es hier war.
Vielleicht nahm er doch besser das Treppenhaus.
Er ging also die Stufen nach unten, und als er schon fast das Erdgeschoss erreicht hatte, kam ihm ein Mann entgegen. Das war ja Hector, was machte der denn hier? Der sollte doch die Fabrik beobachten und ihm melden, wenn dieser Jean Claude auftauchte.
Hector trug einen zerknitterten Mantel über dem Unterarm und hielt sich mit der anderen Hand am Geländer fest. Sein Jackett war ganz aufgeknöpft, und ein Hemdzipfel hing ihm auf die Hose. Sie standen jetzt so nah beieinander, dass er den Alkohol in Hectors Atem riechen konnte. Der andere hatte also wieder gesoffen— ekelhaft. Er versuchte, mit neutraler Stimme zu sprechen: "Was machst du denn hier?"
Hector fuchtelte mit einer Hand in der Luft herum, "Es hat keinen Zweck, das Werk zu bewachen."
"Warum nicht?"
"Es gibt zu viele Ausgänge. Einer allein kann das nicht machen. Rufen Sie Verstärkung aus Paris?"
Ob Hector ihn herausfordern wollte? Ob der Kerl seine Autorität in Frage stellte? Beim alten Gaston hätte der sich so was bestimmt nicht getraut. Er dürfte jetzt nicht ausflippen. "Ich will, dass du diesen Jean Claude beschattest, ja?!"
"Ich bin pleite."
"Hast du gezockt?"
Hector sah nach links und rechts, aber es war sonst niemand in ihrer Nähe. "Ich brauch Geld, Chef."
Wie ihn dieser Mann anwiderte! Was der nicht schon alles für den alten Gaston gemacht hatte! Didier zeigte auf ihn, "Du hast wieder gesoffen."
Hector schwieg.
Didier wollte schon etwas sagen, aber dann fiel ihm auf, dass eine Frau durch die Eingangshalle ging und sie auf der Treppe sehen konnte. Die Fremde verschwand gleich aus seinem Blickfeld, und man konnte hören, dass der Fahrstuhl benutzt wurde. Sie könnten also wieder ungestört reden, aber er sprach trotzdem leiser: "Wenn du Madame Fabienne für mich findest, gibt es Geld, eine Menge sogar."
Hector starrte ihn an mit seinen kalten Augen, und dabei war sein Mund für einen Moment geöffnet. "Monsieur Gaston geht es wieder besser."
Hector hatte also auch mit der Pariser Zentrale telefoniert, aber das hätte er sich ja denken können. "Was willst du eigentlich? Soll ich dich wieder nach Hause schicken und in die Akten schreiben, dass du diese Art von Arbeit nicht mehr erledigen kannst? Soll ich das machen? Also, was ist nun?"
"Ich... " Hector fing an, mit einer Hand durch die Luft zu fuchteln, "Ich finde heraus, wo dieser Jean Claude wohnt. Dann können wir ihn dort abfangen."
"Das hört sich schon besser an. Und beeil dich damit, ja?!"
Hector wollte noch etwas sagen, aber Didier war schon die letzten Stufen nach unten gegangen und hastete durch die Empfangshalle. Durch die hohen Fenster schien die Sonne und blendete ihn ein wenig. Außer der Frau an der Rezeption war offenbar niemand da, und sie war zu weit weg gewesen, um hören zu können, was er mit Hector
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