Madame Hemingway - Roman
bereit dafür«, erwiderte er.
Gertrude erklärte: »Ich habe bisher noch keinen Mann getroffen, der bereit war. Du kriegst das schon hin.«
»Was hattest du dir denn von ihr erhofft?«, fragte ich, als er mir von ihrem Gespräch berichtete.
»Ich weiß nicht. Ich dachte, sie hätte vielleicht einen Rat für mich.«
»Und hatte sie einen?«
»Ehrlich gesagt, nein. Nichts außer: ›Mach es trotzdem.‹«
»Das ist doch der perfekte Rat für dich. Denn du
wirst
es trotz allem schaffen.«
»Du hast gut reden. Du hast ja nichts zu tun, außer Babysachen zu nähen.«
»Na, vielen Dank. Daneben muss ich das Baby auch noch auf die Welt bringen. Es wird nicht einfach vom Himmel fallen.«
»Stimmt«, erwiderte er abwesend und ging zurück an die Arbeit.
Kurz nach unserer Rückkehr nach Paris schrieb Jane Heap, die Herausgeberin der
Little Review
, Ernest mit der Bitte um einen Beitrag für die nächste Ausgabe an. Unter den verlorenen Manuskripten in der Tasche war auch eine Reihe von Skizzen gewesen, die er zusammen
Paris 1922
genannt hatte. Sie begannen alle mit den Worten »Ich habe gesehen« und zeichneten denkwürdige, oft auch gewalttätige Momente aus dem letzten Jahr auf, die er mitangesehen oder über die er gelesen hatte. In einer Skizze beschrieb er Chèvre d’Ors schrecklichen Sturz in Auteuil. Eine andere handelte davon, wie der chilenische Liebhaber von Peggy Joyce sich selbst in den Kopf schoss, weil sie ihn nicht heiraten wollte. Jeder hatte die tragische Geschichte der Schauspielerin in den Schlagzeilen verfolgt, doch Ernests Version der Ereignisse war kraftvoller und lebendiger als alles, was man in der Zeitung lesen konnte. Jeder einzelne seiner kurzen Texte war plastisch und brutal und absolut überzeugend, ob er den Geschehnissen nun selbst beigewohnt hatte oder nicht. Ernest war davon überzeugt, dassdiese Skizzen seine bislang präzisesten und stärksten Arbeiten gewesen waren, und Gertrude stimmte ihm zu. Jede einzelne von ihnen glich einem K.-o.-Schlag.
»Auch wenn du es vielleicht nicht hören willst, glaube ich, dass es ein Segen für dich war, alles zu verlieren«, erklärte Gertrude ihm. »Du brauchst diese Freiheit. Du musst mit nichts anfangen, um etwas völlig Neues zu erschaffen.«
Ernest nickte feierlich, und ich wusste, dass er wahnsinnig erleichtert war. Mir ging es genauso.
»Ich werde mich für Jane Heap noch mal an die Pariser Skizzen setzen. Aber ich will nicht einfach ihre Leichen ausgraben. Neu ist neu. Ich habe mir überlegt, sie noch stärker zu konzentrieren, damit das Ganze noch mehr in Bewegung gerät.« Während er sprach, beobachtete er ihr Gesicht aufmerksam auf der Suche nach Ermutigung. »Es wären dann weniger Skizzen als vielmehr abgeschlossene und dann freigelassene Miniaturen.«
»Unbedingt«, pflichtete sie ihm bei, und schon bald konnte er ihr einen ersten Entwurf zeigen, in dem er mit grausamer Intensität beschrieb, wie ein Matador von den Hörnern eines Stiers durchbohrt wird. Ihre Meinung war ihm in diesem Fall besonders wichtig, da der Text auf ihrer eigenen Schilderung der Stierkämpfe in Pamplona beruhte. Beim Lesen der Passage würde man nicht annehmen, dass er selbst noch nie einen Stierkampf gesehen hatte.
»Das ist hervorragend«, bekundete Gertrude. »Du hast es exakt wiedergegeben.«
»Genau darum ging es mir«, bestätigte er, erfreut über ihr Lob. »Aber eigentlich will ich einmal mit eigenen Augen sehen, wie so ein Stierkampf funktioniert. Ich könnte dabei Material für weitere Skizzen sammeln. Mike Strater und Bob McAlmon wollen auch mitkommen. Bob hat einen Haufen Geld, er könnte die Finanzierung der Reise übernehmen.«
»Fahr«, sagte Gertrude.
»Das solltest du wirklich tun«, stimmte ich zu. »Alles weist in diese Richtung.«
Als wir an diesem Abend nach Hause kamen, bat ich Ernest, alle Miniaturen lesen zu dürfen, die er bislang geschrieben hatte. Eine, die er über seine Zeit in der Türkei verfasst hatte, ließ mich erstarren. Sie spielte auf der Straße nach Karagatsch und beschrieb unter anderem, wie eine Frau, einem Tier gleich, im Regen ein Kind auf die Welt brachte.
Ich gab ihm das Geschriebene zurück, lobte es verdientermaßen in den Himmel, konnte mir jedoch auch die Bemerkung nicht verkneifen, dass er seine Angst vor dem Baby, das unterwegs war, nicht vor mir zu verbergen brauche.
»Selbstverständlich habe ich Angst. Wie soll ich dann arbeiten können? Und werden wir noch Zeit zum Vergnügen
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