Madita
mag sie jede Art Wetter gern. Aber meistens ist ja 112
das Wetter so, daß man es gar nicht merkt, es ist eben nur da.
Aber dieses Wetter hier, das merkt man. Es ist schön, fast so schön wie ein Lied, findet Madita. Man wird ganz lieb und brav davon.
Madita und Lisabet laufen zum Fluß hinunter. Das bereifte, steifgefrorene Gras knirscht unter ihren Schuhen.
»Vielleicht kriegst du von mir sogar zwei Weihnachtsge-
schenke, Lisabet«, sagt Madita im Laufen.
»Du bist bestimmt verdreht, Madita«, sagt Lisabet. Natürlich 113
freut sie sich, wenn sie zwei Weihnachtsgeschenke bekommt, aber gerade jetzt ist ihr alles egal außer dem Eis.
Ein herrlicher Augenblick ist es, wenn man den Fuß auf blankes dunkles Eis setzt, um zu probieren, wie glatt es ist. Oh, es ist so glatt, daß Madita in einem Rutsch beinah quer über den ganzen Fluß schlittern kann.
Daß all dieses Eis über Nacht gekommen ist, stimmt nicht
ganz. Schon eine ganze Woche lang ist Frostwetter gewesen, Madita und Lisabet haben nur nicht gemerkt, daß der Fluß von Tag zu Tag stil er geworden ist. Allein Alva hat es gemerkt, und heute früh, als noch kein anderer wach war, ist sie zum Fluß hinuntergegangen und hat das Eis mit einer dicken Stange
geprüft. Nein, niemand braucht Angst zu haben, es hält.
»Denn wenn es Alva trägt, dann trägt es uns auch«, sagt
Madita.
»Apselut«, sagt Lisabet.
Madita und Lisabet schlittern nach Herzenslust. Sie bekommen ganz rote Backen dabei, und der Atem fährt ihnen wie
weißer Rauch aus dem Mund. Sie können nicht begreifen, wie die Leute jetzt in ihren Betten liegen und schlafen können, wo man doch draußen so viel Spaß hat. In Waldesruh scheint
noch niemand wach zu sein. Also weiß Abbe es noch gar nicht!
Er weiß nicht, daß der ganze Fluß ein einziger, glatter Weg ist, den man entlangschlittern kann. In Krümmungen und Windun-gen schlängelt er sich dahin, hinter jeder Biegung tauchen neue Schlitterbahnen auf, die nur auf einen warten.
Wenn man an Waldesruh vorbeigesaust ist und immer weiter-
schlittert, dann kommt man zum Apelsee. Da ist man richtig auf dem Land, und dort liegt ein Hof, der heißt Apelkullen.
»Du, Lisabet, wollen wir Petrus Karlsson auf Apelkullen besu-chen?« schlägt Madita vor.
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»Erlaubt Mama denn das?« fragt Lisabet.
Aber Mama schläft noch, es ist ja Sonntag. Und bloß, um
wegen so einer Kleinigkeit zu fragen, kann man sie doch nicht wecken.
»Klar erlaubt sie das«, sagt Madita. »Wenn wir die Landstraße entlanggehen würden, dann natürlich nicht, denn das würde zu lange dauern. Aber wir schlittern, und da geht’s heidi, und wir sind da.«
»Ja, dann ja«, sagt Lisabet.
Keine von beiden denkt mehr daran, was Alva vom Frühstück gesagt hat. Munter schlittern sie los, auf Apelkullen zu.
»Eis find ich zu schön«, sagt Madita.
»Eis finden alle zu schön«, sagt Lisabet.
Aber Madita findet es nicht nur schön – sie ist so froh, daß ihr das Herz aus der Brust fliegen könnte. Diese Eisbahn ist ein Wunder. Der Winterfluß und der Sommerfluß, das ist wirklich zweierlei. An den Sommerabenden rudern sie hier manchmal
mit Papa, oft bis nach Apelkullen, um Eier zu kaufen. Dann ist es ein sanftes, stilles Flüßchen, das zwischen grünen Bäumen dahinplätschert. Weiche, grüne Zweige hängen bis aufs Wasser hinunter, so daß Madita und Lisabet vom Boot aus Blätter abrupfen können. Ja, der Sommerfluß ist sanft und gut. Aber der Winterfluß ist wie verzaubert. Das blanke, dunkle Eis und die stillen, weißbereiften Bäume, die in der Sonne ganz rot glitzern, das alles ist so frostig und phantastisch schön, daß Madita ganz außer sich gerät vor Freude. Schneller und
schneller schlittert sie dahin, immer wilder und ausgelassener wird sie, ihr kommt es fast vor, als flöge sie zum Himmel.
Lisabet bleibt weit zurück.
»Wart doch!« ruft sie.
Sie ist das Schlittern leid, jetzt möchte sie gehen, und auch das 115
nicht einmal besonders rasch. Madita muß warten, bis Lisabet sie eingeholt hat.
»Wie weit ist es denn noch bis Apelkullen?« fragt Lisabet mißtrauisch.
»Gar nicht mehr weit«, versichert Madita. »Wir sind gleich da.«
»Faß mich an«, sagt Lisabet und schiebt ihre Faust in Maditas Hand. Und so stapfen sie jetzt weiter, Hand in Hand und
ziemlich langsam. Bei jeder neuen Biegung erwarten sie den See und Apelkullen zu sehen, aber es bleibt immer nur der-selbe Fluß, den sie vor sich haben. Lisabet mag ihn jetzt nicht
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