Madonna
schluckte. »Ein Dämonenheer … das ist gut!« Er kratzte sich im Genick. »Aber wie wollt Ihr Flechner davon überzeugen, dass diese Gefahr tatsächlich droht? Er ist überaus penibel, er wird eine Verhaftung nicht einfach vornehmen, weil wir ihn darum bitten.«
Kramer klopfte auf den Deckel des Buches auf seinem Schoß. »Dann ist es ja gut, dass wir beide wissen, dass dieser Tobias von einem Dämon besessen ist.«
Nachdem er die »Krumme Diele« verlassen hatte, war Richard in sein Haus in der Tuchgasse zurückgekehrt, wo ihn Thomas, sein Diener, freudig empfing und mit äußerster Hingabe umsorgte. Er richtete ihm ein Bad, und während er ein üppiges Nachtmahl zubereitete, versuchte Richard, sich in dem warmen Wasser ein wenig zu entspannen. Doch der Verband war etwas hinderlich, und außerdem ging ihm das Gespräch mit Arnulf und Sibilla nicht mehr aus dem Kopf.
Was war Hexerei, was Heilkunst?, hatte die Engelmacherin gefragt. Und sie hatte einen Satz gesagt, der Richard seitdem im Hinterkopf herumspukte und ihn nicht mehr losließ. Wenn ein Irrer in der Gosse sitzt und davon faselt, dass er von schwarzen Schatten verfolgt und angefallen wird, ist er dann nur krank im Kopf oder aber besessen?
Schatten, die einen verfolgten und ansprangen. Dämonen, die einen quälten. Schuldgefühle. Krankheit. Besessenheit. Wer vermochte zu sagen, was die Ursache für all die Übel der Welt war?
Seufzend verließ Richard die Wanne, trocknete sich ab und zog frische Kleidung an. Dann machte er sich über Brot, Fleisch, Käse und Trauben her, die Thomas ihm hingestellt hatte. Den Wein jedoch, derin einer gläsernen Karaffe neben den Tellern stand, rührte er nicht an. Aus irgendeinem Grund hatte er das Gefühl, dass es besser wäre, die Finger davon zu lassen.
Nachdem er gesättigt war, fragte Thomas ihn, ob er vorhabe, sich ins Bett zu legen, doch er schüttelte den Kopf. Er war noch immer von einer großen inneren Unruhe erfüllt. »Nein, Thomas«, sagte er. »Ich benötige noch ein wenig frische Luft. Aber du kannst schlafen gehen. Ich brauche deine Hilfe heute nicht mehr.«
Skeptisch sah Thomas ihn an, aber er hinterfragte Richards Anordnung nicht. Das hatte er noch nie getan. Alles, was er sich gestattete, war ein leises Räuspern und ein zögerliches »Äh – Herr Sterner?«.
»Ja?« Richard hatte schon seinen Hut in der Hand.
»Ich bin froh, dass Ihr wieder in Nürnberg seid«, murmelte Thomas.
Richard nickte ihm zu. »Danke!«
Natürlich war es ein Vorwand gewesen, einfach nur einen Spaziergang machen zu wollen. Als Richard die Tuchgasse verließ und sich Richtung Frauentormauer wandte, musste er sich eingestehen, dass er nur ein einziges Ziel hatte.
Das Fischerhaus.
Gegenüber hielt er inne und betrachtete die reichverzierte Fassade, die zu dieser späten Stunde nicht mehr von Fackeln sondern nur noch vom kalten Licht der Sterne erhellt wurde. Der Mond stand dicht über den Dächern der Stadt. Ab und an schob sich eine ausgefranste Wolke vor ihn und verminderte seine Helligkeit. Dadurch wirkten die geschnitzten Figuren auf den tragenden Balken wie lebendig.
In seiner Vorstellung sah Richard Katharina, die in ihrem Bett lag und schlief. Ihre Haare waren gelöst und lagen als goldener Heiligenschein um ihren Kopf, die langen Wimpern ruhten auf ihren Wangen, und eine Hand lag zur Faust geballt neben ihrem Gesicht. Ob sie ein Nachtgewand trug?
Allein sich dies zu fragen erschien ihm so unpassend, dass er die Fingernägel in die Handflächen grub. Er war vorhin gegangen, weil er vermeiden wollte, dass Katharina seinetwegen in Schwierigkeiten geriet. Was, wenn jemand ihn hier vor dem Fischerhaus sah, der wusste, dass Silberschläger nach einem hageren Patrizier mit einer frischen Schulterwunde suchte?
All diese Dinge gingen ihm durch den Kopf, und sein Verstand sagte ihm, dass er gehen musste. Doch sein Körper wollte etwas anderes. Er überquerte die Gasse und blieb vor Katharinas Hausstein stehen. Die Sehnsucht nach ihr, der Wunsch, sie im Arm zu halten und den Duft ihrer Haut einzuatmen, wurde übermächtig.
Er hob einen Fuß und setzte ihn auf die unterste Stufe der Treppe, die zur Haustür hinaufführte. Doch dann nahm er sich zusammen. Er musste all seine Selbstbeherrschung aufbringen, um sich den nächsten Schritt zu verwehren. Seine rechte Hand krampfte sich um das eiserne Geländer, und er spürte die Kälte, die das Metall ausstrahlte.
Mit äußerster Gewalt nur riss er sich los.
Er hatte den
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