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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
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womöglich nicht mehr auf den Menschen.«
    »Und wie soll das vonstattengehen?«
    »Man könnte mit einer Lanzette etwas Flüssigkeit entnehmen und diese in einem Federkiel aufbewahren. Allerdings nicht zu lange, damit sie ihre Wirksamkeit behält.
Deshalb führt man auch so schnell wie möglich die künstliche Mitteilung durch. Zu diesem Zweck ritzt man einer Person, die weder die Melkerknoten noch die Blattern oder eine künstliche Inokulation hatte, ein wenig in den Arm, bringt die Flüssigkeit vorsichtig in den Körper ein und legt einen Verband an. An dieser Stelle müssten alsbald eine oder mehrere Pusteln entstehen, die aber ohne Komplikationen verheilen. Das ist schon alles. Man sollte zur Sicherheit noch vier Wochen warten, bis man zum Test eine herkömmliche Inokulation mit einem leichten Blatterngift durchführt. Dieses sollte der Person alsdann nichts mehr anhaben können. Damit wäre bewiesen …«
    » Sollte, sollte! Genug, das reicht! Ich habe genug gehört. Also doch eine Verjauchung des Blutes. Tu, was du willst, aber von diesem Unheil halte ich mich fern.«
    »So sorgen Sie wenigstens dafür, dass man die Kranken in der Stadt von den Gesunden trennt. Damit wäre schon einiges getan. Verbieten Sie die Gafferei! Niemand darf nur aus Neugierde in das Haus eines Kranken gehen, um sich an dessen Entstellung zu ergötzen.«
    »Ich weiß zwar nicht, wofür diese Separierung gut sein soll, aber damit kann ich leben. Zumindest kann es nicht schaden. Es wird nur nichts helfen, denn die Luft der ganzen Stadt ist vergiftet.«
    »Solch ein Unsinn!«, brach es aus Helena heraus. »Das Gift überträgt sich direkt von Mensch zu Mensch. Deshalb darf sich niemand dem Gift auf eine Entfernung nähern, in der es sich mitteilen kann!«
    »Du hast Vorstellungen! Das Gift breitet sich über die Luft aus, und es braucht sich nur eine Blatternwolke über dem Stift niederzulassen, dann sind alle deine Vorkehrungen
umsonst. Und jetzt beendigen wir dieses leidige Thema. Wenn du dich unbedingt in dein Unglück stürzen willst, bitte. Das ist deine Sache. Da hilft wohl auch kein Wohlverleih mehr.«
    »Ich habe verstanden«, gab Helena hoch erhobenen Hauptes zurück. »Und im Übrigen benötige ich die Wohlverleihessenz für die Gräfin von Hohenstein! Sie schickt mich.«
    »Die Gräfin von Hohenstein, das ist natürlich etwas anderes ! Einen Moment …« Lächelnd erhob er sich, um die Medizin aus dem Regal zu holen. Dann griff er nach einer kleinen, leeren Flasche am Boden, und mit einer eleganten Bewegung füllte er etwas Flüssigkeit ab. »So, das genügt, schließlich bin ich nicht von der Fürsorge. Aber wenn ich es mir recht überlege, nimmst du allenthalben auch noch eine Flasche Quecksilberwasser mit. Das benötigt die Gräfin dringlicher.«
    »Ist sie krank?«
    »Sie soll ein Glas pro Tag auf nüchternen Magen einnehmen. Mehr muss die Patientin nicht wissen – und du schon gleich gar nicht!«
    Helena verkniff sich jegliche Erwiderung.
    »Nebenbei bemerkt solltest du bei der Mutter von Lea vorbeischauen. Entweder sie benötigt noch ein paar Gran Kampferöl oder die Mutter will dir mitteilen, dass deine Wundermedizin am Ende nichts gegen die Blattern geholfen hat.«
    Helena musterte ihn scharf. »Was wissen Sie?«
    »Ich?«, fragte der Leibarzt gedehnt. »Ich weiß nur, dass nichts so gewiss ist wie der Tod.«

KAPITEL 12
    A ls Helena das Stift verließ, stieg feiner Nebel vom Seitenarm der Bode auf und umhüllte die Dächer der Wohnhäuser wie der leichte weiße Stoff eines Himmelbetts. Hauchdünn legte er sich auf ihr Gesicht, ihre Hände und ließ sie frösteln, während sie durch das Tor hinaustrat und in den schmalen Weg entlang der Stiftsmauer abbog. Die Häuser der Schlossberggasse waren nur unscharf zu erkennen, umgeben von einem Schleier, wie eine verblasste Erinnerung.
    Sie war allein unterwegs, weit und breit war niemand zu sehen, und sie war froh darum, denn endlich konnte sie ihren Tränen freien Lauf lassen. Sie presste den Leinenbeutel mit den drei Medizinflaschen an sich, in dem die Wohlverleihessenz und das Quecksilberwasser für die Gräfin sowie das Kampferöl dumpf aneinanderschlugen. Als sie das Haus von Lea erreichte, sah sie vom Ende der Gasse her eine dunkle Gestalt in einen Kapuzenumhang gehüllt auf sie zukommen. Es war offenbar ein Mann, der vor dem Haus mit dem Giebelvorsprung etwas unter dem Umhang hervorzog und es vor der Türschwelle niederlegte. Helena blieb wie gebannt

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