Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
plötzlich erleichtert.
»Klar. Ich neige nicht dazu, die Intelligenz anderer Leute zu unterschätzen. Und deine schon gar nicht. Dir ist doch längst aufgefallen, dass hier etwas im Argen liegt, oder?«
»So würde ich das nicht ausdrücken«, antwortet Silja vorsichtig. »Eher ist mir aufgefallen, dass du eine merkwürdig distanzierte Haltung zu Männern hast. Und zu unseren Kommilitonen besonders. Bei mir ist das auch so, aber ich bin auch viel älter als die meisten von denen. Und du bist erst 22, oder?«
»Und welche Schlüsse hat die Frau Kommissarin aus ihrer Beobachtung gezogen?«, erkundigt sich Judith, die sichtbar Gefallen an dem Gespräch zu haben scheint.
»Ich habe schon überlegt, ob du vielleicht lesbisch bist und ob du …« Silja zögert kurz, weil sie weiß, dass sie mit dem, was sie jetzt sagen wird, eventuell den ganzen Zauber des Abends zerstören könnte.
»Ob ich dir jetzt einen Antrag machen will?«, hilft ihr Judith, den Satz zu beenden. »Tut mir leid, Frau Kommissarin, das war die falsche Spur. Willst du noch mal raten?«
Anstelle einer Antwort schließt Silja die Augen und holt tief Luft. Lächelnd sagt sie dann: »Gleich. Erst mal brauche ich eine Pause, um mich zu freuen. Ich bin nämlich ziemlich erleichtert. Das klingt jetzt vielleicht spießig, ist aber so.«
»Wart’s ab. Noch steht dir der Schock bevor.«
Silja verdreht die Augen. »Jetzt mach’s nicht so spannend, man kann’s auch übertreiben. Also gut, ich rate noch mal: Du bist noch Jungfrau, weil du insgeheim davon träumst, dass eines Tages der ultimative Prinz angeritten kommt und dich im Handstreich erobert.«
Zufällig sind Siljas Worte mit einer Gesprächspause am Nachbartisch zusammengefallen, und jetzt ernten die Freundinnen gleich drei erstaunte Blicke auf einmal.
»Meine Freundin hat sich geirrt. Tut mir leid, die Herren, wenn Sie sich schon Hoffnungen gemacht haben sollten«, gurrt Judith zu den Geschäftsleuten hinüber und schenkt der Reihe nach jedem einzelnen von ihnen einen erstklassigen Flirtblick.
Silja traut ihren Augen nicht. So hat sie Judith noch nie erlebt. Und plötzlich weiß sie, woher die coole Einstellung der Freundin Männern gegenüber kommt. Und sie weiß auch, warum es für Judith kein Problem ist, das aufwendige Abendessen zu finanzieren.
»Du lässt dich dafür bezahlen?«, flüstert sie.
»Stimmt nicht ganz«, gibt Judith zurück. »Ich lasse mich sehr gut dafür bezahlen.« Und als Silja schweigt und die Herren am Nebentisch sich wieder ihren Verhandlungen zugewandt haben, erklärt sie leise: »Mit 19 bin ich zweimal hintereinander ziemlich übel enttäuscht worden. Dann habe ich begriffen, dass die meisten Männer nur die Dinge wirklich zu schätzen wissen, die sie richtig viel Geld kosten. Das können sie haben, habe ich mir gedacht, und als ich durch Zufall einen Job als Messe-Hostess angeboten bekam, habe ich zugegriffen.«
»Aber das ist doch eigentlich eine ganz seriöse Sache, oder?«
»Eigentlich schon, aber die Übergänge sind fließend und das Schöne an meinem Job ist, dass ich mir die Männer aussuchen kann. Sie buchen mich als Escort-Lady und dafür zahlen sie auch. Wie die Nacht ausgeht, entscheide ich dann selbst.«
»Wow«, stöhnt Silja und wirft einen erleichterten Blick auf die beiden Teller mit köstlich duftendem Deichlammfilet, Kräutermousse und Kartoffelstampf, die gerade vor ihnen abgestellt werden. »Das Essen kommt wirklich wie gerufen. Während ich kaue, kann ich deine Neuigkeiten erst einmal verdauen. Ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel.«
»Ach was«, lacht Judith und greift zu Messer und Gabel. »Ich bin froh, dass ich’s dir gesagt habe, und ich hoffe, es tut unserer Freundschaft keinen Abbruch.«
»Für wie spießig hältst du mich eigentlich?«
»Ich würde sagen, deine Spießigkeit ist direkt oberhalb der unteren Wahrnehmungsgrenze angesiedelt, so dass ich mit meiner pikanten Nebenbeschäftigung noch bequem durchgehe.«
»Tust du«, bestätigt Silja und schiebt sich den ersten Bissen in den Mund. »Ist das köstlich!« Dann legt sie Messer und Gabel beiseite und hebt ihr Glas. »Auf die edlen Spender dieses Abendessens!« Sie zwinkert der Freundin zu.
»Auf die Scheißkerle«, antwortet Judith. »Und ob du es glaubst oder nicht: Manche von ihnen sind richtig nett.«
Sonntag, 19. Juni, 09.10 Uhr,
Zwischen den Hedigen,
Alt Westerland
Noch bevor es klingelt, hat Hubert Mönchinger den dunkelgrünen Passat auf der Einfahrt
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