Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
noch nicht fassen, dass er sich ausgerechnet mit ihr abgibt. Marleen ist mit ihren dunklen Locken und dem üppigen Körper sehr attraktiv, das weiß sie auch genau, aber trotzdem neigt sie nicht dazu, sich zu überschätzen. Das Abitur hat sie nur mit knapper Not bestanden, es war nicht annähernd so glanzvoll, wie ihre Eltern, die beide Analytiker sind, es sich gewünscht hätten.
Über die Frage, ob ihre Affäre mit dem bewunderten Kollegen der Eltern, von dem bei ihr zu Hause wie von einem Halbgott gesprochen wird, vielleicht eine wenig subtile Rache für die Druckmechanismen ist, die einen Großteil von Marleens Erziehung ausgemacht haben, möchte sie lieber nicht nachdenken. Schon gar nicht zu dieser Unzeit. Und vor allem nicht nach einer Nacht wie der letzten, in der dem sonst so potenten Manfred buchstäblich die Glieder eingefroren zu sein schienen.
Gerade hat Marleen sich über die andere Seite des Bettes gebeugt, um das lästige Schellen abzustellen. Doch kurz bevor ihre suchenden Finger das Gerät ertastet haben, rührt sich auch Manfred Pabst.
»Lass mich mal«, nuschelt er und nimmt ihr das Handy aus der Hand.
»Pabst.«
Seine Stimme klingt erstaunlich fest – verglichen mit den jämmerlichen Leistungen der letzten Nacht, findet Marleen.
»Herr Mönchinger, dass Sie zufällig meine Handynummer haben, berechtigt Sie noch lange nicht dazu, mich in meiner Freizeit anzurufen. Wir haben jetzt Wochenende, und unser Termin ist erst am Dienstag.«
Am anderen Ende der Leitung wird aufgeregt argumentiert. Marleen kann keine ganzen Sätze hören, versteht aber Worte wie Notfall und Katastrophe .
Mit einem genervten Stöhnen unterbricht Manfred Pabst schließlich den Redeschwall seines Patienten und erklärt knapp: »Okay, wenn es wirklich so dringend ist, dann kommen Sie am Montag gleich um neun Uhr früh. Ich habe dann eine Stunde Zeit für Sie – und den Dienstags-Termin lassen wir trotzdem bestehen. Das ist doch in Ihrem Sinne, oder?«
Erleichtertes Winseln tönt aus dem Telefon. Manfred verdreht angewidert die Augen und unterbricht das Gespräch nach einem knappen Gruß.
»Behandelst du alle Patienten so abfällig?«, will Marleen wissen.
»Der Typ ist schwer gestört, wenn du dem nicht deutlich sagst, wo’s langgeht, dann bringt der dich um den Verstand.«
»Jemand, der keine Grenzen einhalten kann?«
Wie immer in solchen Situationen bemüht sich Marleen sehr um eine professionelle Bemerkung. Manfred soll ja nicht denken, dass er sich mit ihr nur ein williges Häschen ins Bett geholt habe, das anstatt Psychologie zu studieren nun eine Ausbildung als pharmazeutisch-technische Assistentin macht. Leider bekommt sie selten ein Feedback von ihm. Auch jetzt wirft er sich nur schweigend über sie und hängt ihr wenig feinfühlig die Zunge in den Hals. Marleen hält nichts vom Küssen vor dem Zähneputzen, aber sie möchte Manfred auf keinen Fall zurückweisen. Also macht sie mit und stellt sich zum Ausgleich vor, was ihre Eltern wohl für Gesichter ziehen würden, wenn sie je von dieser Affäre erfahren sollten.
Sonntag, 19. Juni, 09.22 Uhr,
Zwischen den Hedigen,
Alt Westerland
Christa Mönchinger ist eine unscheinbare Frau mit verhärmten Gesichtszügen und mausgrauen Haaren. Ihre ganze Erscheinung strahlt etwas Geducktes, Resigniertes aus, nur ihre Augen rebellieren. Hellwach und strahlend blau blinzeln sie unter schweren Schlupflidern hervor und zeigen deutlich, dass man diese Frau nicht unterschätzen sollte. Trotz des altmodischen Morgenmantels, den sie trägt, und der merkwürdigen Situation, in der sie sich befindet, tritt sie souverän und selbstbewusst auf.
»Guten Morgen, Herr Kommissar. Entschuldigen Sie meine Aufmachung, aber ich wusste nichts von Ihrem Besuch.«
»So ist das mit uns Ermittlern nun mal. Wir sind immer da, wo man uns nicht erwartet«, antwortet Bastian Kreuzer betont mehrdeutig. Er ärgert sich immer noch über den Umstand, dass dieser Mönchinger ihm die Existenz seiner Schwester verschwiegen hat.
Doch Christa Mönchinger reagiert nicht auf seine Worte, sondern holt sich erst einmal einen frischen Becher aus dem Schrank und füllt ihn mit Kaffee. Dann setzt sie sich dem Kommissar genau gegenüber und sieht ihm direkt in die Augen.
»Was wollen Sie wissen?«
»Vor allem eines: Wo waren Sie am Donnerstagabend und in der darauffolgenden Nacht?«
»Ich war hier.«
Verwundert sieht sich Bastian zu Hubert Mönchinger um, der zwar dem Blick des Kommissars
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