Maenner wie Tiger
Musik klebte mir wie Fliegenpapier an den Ohren. Sie auszusperren, drehte ich mich hin und her, immer wieder, aber es gelang mir nicht. Sogar die Bretterwände vibrierten. Nach einer Weile gab ich es auf, zermürbt und verärgert, und ging ins Freie.
Sie feierten noch immer. Ich blickte durchs Fenster und sah sie tanzen. Und da sie nur drei Mädchen als Partner hatten, tanzten sie eine Art Quadrille, um jeden Streit zu vermeiden. Die Mädchen bewegten sich wiegend vor und zurück, reichten dem einen die Hand, dann dem nächsten und wieder dem nächsten. Es wirkte altmodisch, maßvoll und gesetzt. Der Fußboden dröhnte wie eine Trommel. Ich konnte die fast unerträgliche Hitze spüren.
Von Luke und Leo keine Spur. Auch von Harry nicht. Ich gehöre auch nicht hierher, sagte ich mir. Wann und wie es enden würde, wußte ich nicht. Ich ging also zurück, legte mich wieder auf die Couch und stopfte mir die Zeigefinger in die Ohren.
Später hörte ich sie draußen lärmen, wie nach Schulschluß: halbwüchsige Rowdys. Ich war an den Rand der Couch gerutscht, das Buch lag auf dem Boden. Ich weiß nicht einmal seinen Titel. Die Schreie hatten einen trunkenen Klang. Ich wollte rufen: Jetzt ist’s genug! Ihr bringt noch den ganzen Wald in Aufruhr! Die Fensterscheiben schimmerten rötlich, ich spürte starken Harzgeruch. Hinter dem Bohrturm rauchten Fackeln. Wie Walpurgisnacht sah es aus.
Sie hatten sich alle vor dem Rockefeller-Hotel versammelt. Gott sei gedankt! Die schwere Prüfung schien fast zu Ende. Sie wünschten den Mädchen gute Nacht.
Dennoch hätte ich Harry gerne bei ihnen gewußt, sie zu beaufsichtigen. Der aber hatte sich vorsichtig herausgehalten. Wie Pilatus, der sich aller Schuld freisprach.
Auf dem Balkon standen die Mädchen. Sie lachten und winkten vergnügt, sahen jedoch erschöpft aus, konnten sich kaum auf den Beinen halten.
Wilder Lärm entlud sich. Welch dankbares Publikum! War das ein Akkordeon, auf dem einer ein Ständchen spielte? Ich dachte: All die vielen Monate her, die ich in diesem Camp lebe, habe ich nie ein Akkordeon bemerkt. Da halten sie dicht, diese Heimlichtuer!
Sie johlten. Sie pfiffen. Ja, ja, genug jetzt, das Fest ist aus, dachte ich. Andere wollen schlafen. Schluß jetzt! Gute Nacht!
Die Fenster des Rockefeller-Hotels schlossen sich, aber das Johlen ging weiter. Wieder kamen die Mädchen auf den Balkon. Sie deuteten durch Gesten an, wie müde sie waren.
Bitte! Bitte! Andere sind ebenfalls müde. Den letzten Vorhang jetzt! Sie winkten zum Abschied, wie Primadonnen, bevor der Vorhang endgültig fällt.
Gut so! Alle sind glücklich. Alle haben sich gut unterhalten. Gute Nacht jetzt!
Die Fenster schlossen sich zum allerletztenmal. Die Männer trieben sich noch eine Weile herum, verstreuten sich leise lachend zu Gruppen und strebten ihren Baracken zu. Nichts mehr geschah, auch die Fackeln waren fast niedergebrannt.
Dann wurde es still, und in der Stille hörte ich, wie es aus dem erzürnten Wald zurücktönte. Schlaf zu finden würde schwierig sein. Ich ging hinaus, hinüber zu meinem Feldbett unter dem Vordach des Lazaretts.
Schreie. Schreie über Schreie. Ich lag auf dem Feldbett, erstarrt. Ich wußte nicht, wie lange ich geschlafen hatte. Ich wußte nicht, ob ich träumte oder ob ich Luke wirklich vorbeisausen und hinüberlaufen gesehen hatte. Dann kam jemand aus dem Krankenzimmer, kam im langen Priestergewand: Pater Luis. Ich hatte nicht geträumt.
Die Schreie stachen wie Nadeln durch die Nacht. Es war grauenvoll. Es heißt, der Schreck lasse das Blut erstarren. Damals fühlte ich wirklich, wie es mir in den Adern stockte. Das Schreien verlor sich allmählich. Ich stand auf, zog mir die Hose hinauf und ging zum Rockefeller-Hotel hinüber.
In den Schlafzimmerfenstern flammte Licht auf. Männer lungerten auf dem Vorplatz herum und blickten zu den Fenstern empor. Ich hörte sie nervös lachen. Ich drängte mich an ihnen vorbei und rief: »Was ist denn los?« Aber sie verflüchtigten sich im Dunkel, als ginge es sie nichts an.
Da bemerkte ich Charley. Er sprach mit sich selbst, sah wütend drein, sah mich kommen und wich aus.
Neben der Veranda fand ich Leo, barfuß.
»Was ist geschehen?«
»Nun, was wird geschehen sein?« sagte Leo.
»Kannst du’s mir nicht sagen?«
Er deutete mit dem Kopf ins Dunkel nach hinten, wohin sich die Männer verflüchtigten. »Drei von ihnen gingen hinauf, um weiterzufeiern.«
»So?«
»Die Mädchen sollen wütend gewesen
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