Maenner wie Tiger
geht’s dich an?«
»Es ist ein alter Hals. Und wenn sie ihn dir brechen, werde ich ihn nicht wieder zusammennähen können.«
Von oben hörte ich zorniges Schreien. Auch das erschütterte mich. Ich schob mich an Luke und Leo vorbei und ging hinauf. Es war mein Schlafzimmer, in dem sie sich befanden. Schon im Vorraum konnte man ihr Orchester hören: die entmutigten Schreie Caterinas und Carmens, dünn wie der Klang von Violinen; sie begleiteten Dolores’ zornigen Alt, dumpf wie eine Gitarre, auf die man schlägt; und, tiefer noch, der wütende Baß des Priesters, kurz, scharf, ruckweise und leidenschaftlich erregt wie der eines erzürnten Eremiten. Wohin soll das eigentlich führen, dachte ich. Sie sollten sich lieber besinnen!
Merkwürdig, von Harry hörte ich keinen Ton. Ich konnte ihn mir vorstellen, wie er dastand, blaß und machtlos. Das ist aber gerade das Gefährliche an einem so militanten Charakter, wie er ihn hat. Genauso sah ich ihn, als ich verstohlen hineinspähte. Mit einem fast tierischen Haß starrte er auf Dolores. Ich sagte mir: Eigentlich müßte ihr das endlich den Mund stopfen.
Ich öffnete gerade rechtzeitig die Tür, um Dolores zu hören, die ihn anschrie: »… Bestien seid ihr! Ihr alle! Auch Sie! Ohne Gefühle. Sie müssen es gewußt haben. Und Sie wollten es zulassen!«
Er sagte nichts.
Caterina und Carmen waren gelb vor Schreck. Sie sahen mich, sie begannen zu zittern. Dolores ignorierte mich, sie konnte mich nicht brauchen.
»Schluß jetzt!« sagte er. Endlich hatte er den Mund aufgemacht.
»Wenn uns der Mann mit dem schielenden Auge gesagt hätte …«
»Er glaubt, es gesagt zu haben«, unterbrach sie Harry.
»Daß wir Bettfutter sind?«
Ich sah Pater Luis zusammenzucken. Jetzt sprach die Gosse aus ihr.
Dünn, die schweren Lider hinuntergepreßt, fahl, unrasiert, stand er da. »Sie sind so schuldig wie die Männer. Denn Sie wußten es«, sagte er zu Harry.
»Ich glaubte, die Mädchen wußten es auch.«
»Die Mädchen sind unschuldig.«
»So wie die Dinge liegen, hätte das niemand vermutet.«
Dolores spuckte ihn an. Sie hatte einen großen Vorrat an Speichel. Harry hielt den Atem an und wischte den Speichel vom Ärmel. Er achtete Frauen nicht. Wäre der Priester nicht dagewesen, hätte er vielleicht ihr Gesicht darin gerieben.
»Die Mädchen sind in Ihrer Hand«, erklärte Pater Luis. »Sie sind für sie verantwortlich. Verstehen Sie?«
»Sie haben mir das schon so oft gesagt, daß ich es verstehen muß.«
»Dieser Auftrag ist heilig.«
Harry machte eine ungeduldige Geste. »Niemand wird sie anrühren.«
»Fast hätten Sie eine Todsünde begangen!«
»Hören Sie auf damit!«
»Heute noch werden Sie sie zurückbringen.«
»Nein, heute nicht.«
»Ich bestehe darauf!«
A »Heute geht’s nicht. Das Flugzeug ist havariert.«
»Wann also?«
»Wenn es hell wird, dann vielleicht. Sie haben selbst gesehen, daß ein Motor ausgefallen ist. Wir werden die ganze Nacht daran arbeiten.«
Pater Luis wurde sauer. Von Motoren verstand er nichts.
»Zum letztenmal …«, hob er an, aber zu drohen gelang ihm nicht mehr. Harry hatte sich rasch der Tür zugedreht und ging an mir vorbei wie an einem Fremden. Bevor er sie noch erreichte, schrie ihm Dolores nach: »Sie hätten sich auch daran beteiligt, was?« Er hielt inne, verzog verächtlich den Mund und sagte über die Schulter hinweg: »Beim Himmel, nein!«
Augenblickslang verlor sie die Fassung. Bevor sie etwas sagen konnte, war er fort.
Beklommen sagte ich ihr: »Er tut sein Bestes.«
»Nachdem er das Schlimmste getan hat.«
»So war es denn doch nicht.«
»Hielten Sie uns für Huren?«
»Ich? In meinem Alter? Glauben Sie, ich bin daran interessiert?«
»Ach was, scheren Sie sich fort!«
»Ein so junges Ding wie Sie sollte einen alten Mann mehr respektieren.«
»Und wie respektiert man uns? Sollten sie es wagen …«
Plötzlich hielt sie ein kleines Messer in der Hand. Woher es gekommen war, hatte ich nicht gesehen. Die Mutter hat sie mehr gelehrt als Gitarre spielen, dachte ich und zuckte nervös zusammen.
»Weg damit!«
»Ich muß meine Schwestern schützen. Sollte einer nur versuchen …«
»Gib mir das Messer, mein Kind«, sagte Pater Luis.
»Nein.«
»Gib es mir!«
»Nein.«
Jetzt geht’s wieder los, dachte ich. Die Stimme Gottes streitet mit einem widerspenstigen Geschöpf Gottes. Zeit ist’s, das Weite zu suchen.
Leo stand noch unten neben der Veranda und scheuerte seine nackten Füße im Sand.
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