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Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Titel: Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wilhelm
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Abendstern hervor und sprach: »Dieser Affe ist entstanden aus der reinsten Kraft von Himmel und Erde und Sonne und Mond. Er hat geheimen Sinn erlangt und ist ein Unsterblicher geworden. Gedenket, Herr, an Eure große Liebe zu allen Lebenden und verzeiht ihm seine Sünde! Erlasset einen Befehl, dass er in den Himmel heraufberufen wird und hier ein Amt übernehme, damit er zur Besinnung kommt. Wenn er abermals Eure Gebote übertritt, so mag er unbarmherzig Strafe erdulden.« Der Herr des Himmels war es zufrieden. Er ließ einen Befehl ausfertigen und befahl dem Abendstern, ihn zu überbringen. Der Abendstern bestieg eine farbige Wolke und ließ sich darauf zum Berg der Blumen und Früchte nieder.
    Er begrüßte den Sun Wu Kung und sprach zu ihm: »Der Herr hat von deinen Taten gehört und wollte dich bestrafen. Ich bin der Abendstern am westlichen Himmel und trat für dich ein. Darum hat er mich beauftragt, dich in den Himmel zu holen, um dir ein Amt zu übertragen.«
    Sun Wu Kung war hocherfreut und sprach: »Ich habe mir’s gerade überlegt, dass ich auch mal einen Besuch im Himmel machen wolle, und richtig seid Ihr nun gekommen, alter Stern, um mich zu holen.«
    Dann ließ er seine vier Paviane vor sich kommen und schärfte ihnen ein: »Gebt mir gut Acht auf unseren Berg! Ich geh’ jetzt in den Himmel, um mich dort ein bisschen umzusehen.«
    Dann bestieg er mit dem Abendstern die Wolke und schwebte empor. Er machte aber seinen Purzelbaum und kam so rasch voran, dass der Abendstern auf seiner Wolke zurückblieb. Schon war er am südlichen Himmelstor und trat mit lässigen Schritten ein. Der Torwart wollte ihn abhalten; aber er ließ sich nichts gefallen. Mitten in ihrem Wortwechsel kam der Abendstern heran und klärte die Sache auf, und man ließ ihn zum Himmelstor hinein. Als er vor das Schloss des Himmelsherrn kam, blieb er aufrecht stehen, ohne sich zu verneigen.
    Der Herr des Himmels fragte: »Dieses haarige Gesicht mit den spitzigen Lippen ist also der Sun Wu Kung?«
    Er erwiderte: »Ja, ich bin der alte Sun.«
    Alle Diener des Herrn waren bestürzt und sprachen: »Dieser wilde Affe verneigt sich nicht einmal und nennt sich gar noch selbst den alten Sun. Sein Verbrechen verdient tausendfachen Tod.«
    Der Herr aber sprach: »Er kommt drunten von der Welt her und ist noch nicht an unsere Ordnungen gewöhnt. Wir wollen ihm verzeihen.«
    Dann befahl er, ein Amt für ihn auszusuchen. Der Hofmeister berichtete: »Sonst ist nirgends ein Platz frei, nur im Marstall fehlt ein Beamter.« Darauf ernannte ihn der Herr zum Stallmeister der himmlischen Pferde. Da sagten ihm die Diener, er müsse sich nun für diese Gnade bedanken. Sun Wu Kung rief nun ein lautes: »Zu Befehl!« nahm seine Ernennungsurkunde zu sich und begab sich nach dem Marstall, sein Amt dort anzutreten.
    Sun Wu Kung besorgte sein Amt mit großem Eifer. Die Himmelspferde wurden fett und groß und warfen reichlich Füllen. Ehe er sich’s versah, war ein halber Monat vergangen. Da richteten ihm seine himmlischen Freunde ein Gastmahl zu.
    Während des Trinkens fragte er gelegentlich: »Stallmeister, was ist das eigentlich für ein Name?«
    »Nun, ein Amtsname«, war die Antwort.
    »Welchen Rang hat dieses Amt?«
    »Es hat gar keinen Rang«, war die Antwort.
    »Ach,« fragte der Affe, »ist es so hoch, dass es über allen Rangstufen steht?«
    »Nein, gar nicht hoch, gar nicht hoch!« antworteten sie. »Es steht gar nicht in der Rangliste, sondern ist eine ganz untergeordnete Stellung. Ihr habt nur für die Pferde zu sorgen. Wenn Ihr sie fett bekommt, kriegt Ihr eine gute Note. Werden sie mager, krank oder fallen sie, so ist die Strafe gleich zur Hand.«
    Da wurde der Affenkönig böse. »Mich, den alten Sun, so schlecht zu behandeln!« fuhr er los. »Auf meinem Berg war ich König, war ich Vater. Was braucht der mich in seinen Himmel zu locken, dass ich Pferde füttere? Ich mach’s ihm nicht mehr! Ich mach’s ihm nicht mehr.«
    Holla, da stieß er auch schon seinen Tisch um, holte die Stange mit den goldenen Zwingen aus dem Ohr, ließ sie wachsen und schlug sich damit eine Bahn bis vor das südliche Himmelstor hinaus. Kein Mensch wagte ihm entgegenzutreten.
    Und schon war er auch wieder auf seinem Berge, und die Seinigen umringten ihn und fragten: »Über zehn Jahre seid Ihr weg gewesen, großer König! Warum kommt Ihr jetzt erst zurück?«
    Der Affenkönig sagte: »Ich war doch nur etwa zehn Tage im Himmel. Dieser Himmelsherr versteht es nicht, seine

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