Märchenkranz für Kinder - Märchen der Welt ; 67
Kinde noch nichts zum Angebinde geschenkt hatte, weil sie die böse Absicht der erzürnten Alten gemerkt hatte; »beruhigt Euch! Euer Töchterchen wird nicht sterben. Zwar kann ich das Geschick, welches die Alte hier über die Kleine verhangen hat, nicht ganz abwenden, und Euer Kind wird sich mit einer Spindel verwunden, aber anstatt davon zu sterben, wird sie nur in einen tiefen Schlaf fallen, der hundert Jahre dauern, und aus dem sie ein Königssohn erwecken wird.«
Um das Unglück, welches seinem Kinde prophezeiet war, so viel als möglich zu verhindern, ließ der König bekannt machen, daß bei Lebensstrafe niemand weder mehr mit einer Spindel spinnen, noch überhaupt ein solch gefährlich Ding in seinem Hause halten sollte. Aber was half alle Vorsicht!
Als die Prinzessinn funfzehn Jahr alt war, geschah es, daß ihre Aeltern mit ihr auf eines ihrer Lustschlösser reisten. Während nun hier die Aeltern eines Tages im Garten lustwandelten, ging die Prinzessinn im Schlosse umher, und da sie vor langer Weile nicht wußte, was sie vornehmen sollte, so lief sie von einem Zimmer in's andere, und kam endlich auch an einen Thurm, den sie von Innen besehen wollte. Sie ging also hinein, stieg eine Treppe hinauf, und wieder eine, und dann noch eine, und kam nun zu einer kleinen Thüre, die sie mit dem darin steckenden Schlüssel öffnete. Da trat sie in eine kleine Stube, in welcher ein altes Mütterchen, die niemals etwas von dem Befehle des Königs, nicht mehr mit einer Spindel zu spinnen, gehört hatte, am Rocken saß, und emsig spann. Das hatte sie noch nie gesehen; darum gab sie recht Acht, und sagte: »Ob ich's denn auch wohl könnte?« – »Ja, liebes Prinzeßchen,« sagte freundlich das Mütterlein, »das könnt Ihr nicht wissen, bis Ihr es nicht versucht habt.« Die Prinzessinn wollte es versuchen, nahm der Alten, lebhaft und neugierig wie sie war, die Spindel weg, – stach sich damit in die Hand, und – versank sogleich in einen Todesschlaf.
Laut rief nun die erschrockene Alte um Hülfe. Von allen Seiten lief man herbei, und versuchte, die Prinzessinn wieder in's Leben zurück zu bringen; aber Alles war vergebens! Der König, welcher an die Weissagung der Fee gedachte, und sich damit tröstete, daß dies Alles so hätte kommen müssen, ließ seine Tochter in das schönste Zimmer des Schlosses bringen, und auf ein Paradebett von lauter Gold- und Silberstoff legen. Da lag sie nun, schön wie ein Engel: denn der Todesschlaf hatte ihre blühenden Farben nicht verwischt; noch glühten ihre Wangen wie Incarnat, und ihre Lippen wie Korallen; nur die Augen waren geschlossen, und an den leisen Athemzügen bemerkte man, daß sie nur schlief, und nicht todt war.
Bald erschien auch die gute Fee, welche durch ihre Fürsorge den Tod von der Prinzessin gewendet hatte. Sie war mit Allem, was der König angeordnet hatte, sehr wohl zufrieden; da sie aber eine kluge und voraussehende Person war, so glaubte sie, es möchte die Prinzessinn in einige Verlegenheit setzen, wenn sie nach hundert Jahren aufwachte, und sich dann so allein in dem großen Schlosse sähe. Was that sie? Sie nahm ihr Zauberstäbchen, und berührte Alle, die im Schlosse waren, – nur den König und die Königinn nicht, – die Hofmeisterinnen, die Ehrendamen, die Kammerfrauen und Kammerherren, die Offiziere, Hausmeister, Köche, Küchenjungen, Laufburschen, Wachen, Schweizer, Pagen, Bediente, sogar die Pferde im Stalle, mitsammt den Knechten, die Hunde auf dem Hofe und das Schooßhündchen der Prinzessinn, welches auf ihrem Bette lag; und so wie sie Alle berührt hatte, so schliefen sie auch sammt und sonders ein, um nicht eher wieder zu erwachen, wie ihre Herrinn. Ja, es war zum Erstaunen. Die Bratenwender voll Rebhühner, und der Dreifuß auf dem Herde, ja selbst das Küchenfeuer und die Tauben in der Bratpfanne überließen sich gleichfalls der Ruhe. Und alles dies geschah in einem Augenblick: denn man muß wissen, die Feen sind sehr geschwind in ihren Geschäften.
Nun küßten der König und die Königinn ihr Kind noch ein Mal, und verließen das Schloß, dem sich fortan niemand mehr nähern durfte. Dies Gebot war indeß überflüssig, denn weiter als eine Viertelmeile rund um das Gebäude schoß ein so dichter und wild verwachsener Wald empor, daß weder Mensch noch Thier durch das verschlungene Gesträuch hindurchzudringen vermochte, und man nur aus weiter Ferne die Zinnen und Thürme der Burg wahrnehmen konnte. Ohne Zweifel
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