Märchensommer (German Edition)
aufhalten. Aber es war nett, wieder einmal deine Stimme zu hören.“ Er machte eine kurze Pause. „Die Arbeit hier ist ziemlich langweilig geworden, seit meine Lieblingskriminelle fluchtartig das Land verlassen hat. Londons Straßen sind nicht dieselben ohne dich.“ Quinn lachte sanft, doch es klang erzwungen.
Bei seinen sentimentalen Worten schnürte sich mir die Kehle zu. „Du fehlst mir auch, Quinn. Ich sehe dich dann in ein paar Wochen.“
„Ja. Bestell Julian und deiner Familie schöne Grüße von mir.“
„Werd ich machen. Und du drückst Abe für mich, wenn du ihn das nächste Mal siehst.“ Wir lachten beide und verabschiedeten uns dann voneinander. Als ich auflegte, bekam ich einen schweren Anfall von Heimweh. Doch es gab einen guten Grund, warum ich mich freuen sollte, noch ein paar Wochen länger hierzubleiben.
Julian.
Da fiel mir auch die Überraschung wieder ein. Ich flitzte nach oben und stolperte dabei fast über die letzte Stufe. Die Tür zu meinem Zimmer gab meinem ungeduldigen Drücken nach und knallte auf der anderen Seite gegen die Wand. Ich stolperte hinein und suchte meinen Schreibtisch und mein Bett nach einem Päckchen oder etwas Ähnlichem ab. Aber da war nichts.
Wollte er mich nur veräppeln? Die Hände in die Hüften gestemmt, drehte ich mich rundum und kaute dabei auf meiner Unterlippe herum. Dann stockte mir plötzlich der Atem. Ich taumelte ein paar Schritte zurück, stieß gegen das Bett und plumpste sprachlos auf die Matratze.
Am anderen Ende meines Zimmers, an der Tür zu meinem Kleiderschrank, hing dieses gelbe Wahnsinnskleid.
21. Verräter
MEIN UNGEWOHNTES SPIEGELBILD starrte entsetzt zu mir zurück. Ich sah aus wie eine Sonnenblume. Dem Etikett nach zu urteilen, war dieses Kleid aus chinesischer Seide genäht. Der dreilagige Rock flatterte um meine Knie, als ich meine Hüften hin und her schwang. Das war mit Abstand das schönste Kleid, das ich je gesehen hatte.
Ich konnte mich nicht erinnern, was auf dem Preisschild gestanden hatte, doch Julian musste dafür ein Vermögen bezahlt haben. Und nur aus diesem Grund beschloss ich, das Kleid heute Abend auch wirklich zu tragen. Er sollte nicht denken, dass ich sein Geschenk nicht zu schätzen wüsste. Aber wohl fühlte ich mich in so einem teuren Kleid nicht.
Durch das strahlende Gelb würde ich aus der Menge herausstechen. Alle würden mich sehen, und es gäbe keine Möglichkeit, mich in einer dunklen Ecke zu verkriechen. Oh Mann. Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter.
Es klopfte leise an meiner Tür und gleich darauf steckte Marie ihren Kopf herein. „Bist du fertig?“ Als sie mich vor dem Spiegel stehen sah, schnappte sie nach Luft und stieß die Tür ganz auf. „Ach du lieber Himmel, Jona! Du siehst ja wunderschön aus.“ Sie kam auf mich zu und befühlte den Stoff des Rockes. „Ist das nicht das Kleid, das wir neulich in dem Laden gesehen haben?“
„Genau. Julian hat es für mich gekauft“, antwortete ich schnell, ehe sie auf die Idee kam, ich könnte es gestohlen haben. „Er möchte wohl, dass ich es zu dem Fest trage. Aber ich fühle mich nicht gerade wohl damit.“
„Das ist ja so lieb von ihm. Du musst es unbedingt anlassen, Chérie . Es ist wie für dich gemacht.“
Seltsamerweise stimmte das sogar. Julian hatte irgendwie die richtige Größe erwischt. Das Kleid passte wie angegossen.
„Und da es ein Geschenk von Julian ist, wäre er sicher enttäuscht, wenn du es nicht trägst.“
Ich stieß einen langen, schweren Seufzer aus. „Also hab ich wohl gar keine Wahl.“
„Komm, beeil dich. Die meisten Gäste sind schon da und die Party hat eben angefangen.“
„Sie sind bereits hier?“ Ich sah zum Fenster raus. „Ich höre gar niemanden im Garten.“
„Wir feiern im Weingarten. Da ist mehr Platz für die Band und die Tische.“
„Oh.“ Eine Band? Und das nur für ein kleines Treffen unter Freunden. Ich sah Marie skeptisch an. Die Party war wohl doch größer, als Julian mir weismachen wollte.
Meine Tante sagte nichts dazu, sondern machte nur eine antreibende Handbewegung, und ich schlüpfte in meine Martens. Da riss sie die Augen weit auf. „ Oh nein! Du wirst diese ausgelatschten Stiefel doch nicht zu diesem schönen Kleid anziehen?“
„Ich habe keine anderen Schuhe. Und ich kann ja wohl auch schlecht barfuß laufen, oder?“
„Warte hier. Ich bin gleich zurück.“ Sie huschte aus der Tür und kam nur eine Minute später zurück, wobei sie ein Paar weiße
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