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Märchensommer (German Edition)

Märchensommer (German Edition)

Titel: Märchensommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katmore
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Rütteln, soviel war klar.
    Nun stellte sich die Frage, was Marie wem nicht erzählen durfte. Der Gedanke an Rache verpuffte in meinem Kopf. Zurück blieb reine Neugier. Ich spazierte kurzerhand durch die Tür und fragte in einem unschuldigen Ton: „Redet ihr über Charlene?“
    Julian sah mich scharf an. Seine Knöchel wurden ganz weiß, so fest hielt er die Türklinke in der Hand. Seine Augenbrauen formten ein tiefes V.
    Au Backe. Hatten sie etwa gerade über mich gesprochen?
    Marie stand von ihrem Stuhl auf. Ein wenig zu schnell, wie ich feststellte. „Gut, dass du noch mal runter gekommen bist. Du hast vorhin deinen Lohn vergessen.“ Sie holte die beiden Geldscheine aus einer Lade, die sie dann mit einem Schubs ihrer Hüften wieder zustieß. Sie legte mir die Hand auf die Wange. „Nun trag das Geld rasch nach oben und steck es weg. Niemand sollte so viel Geld in der Hosentasche mit sich rumtragen.“
    Ich nickte. „Danke.“ Doch warum wollte sie mich plötzlich so schnell aus der Küche haben? Dieses Verhalten sah ihr überhaupt nicht ähnlich. Andererseits … wen interessierte das im Moment? Ich hielt gerade zweihundert Euro in der Hand. Oh Junge, oh Junge!
    Ich drehte mich um zu Julian. Das Grinsen ließ sich im Augenblick leider nicht unterdrücken. „Sehen wir uns oben?“
    „Später. Ich hab deiner Mutter noch einen Spaziergang durch die Weinberge versprochen.“ Er verzog seine gespitzten Lippen auf eine Seite. „Hmm, du könntest aber auch mitkommen, wenn du möchtest.“
    Ich stieß ein erstauntes Lachen aus. „Vergiss es!“ Er konnte ja gerne so tun, als wäre er der verlorene Sohn, doch es würde ihm nie gelingen, mich und den Drachen wieder zu versöhnen. Oh nein. Daran würde er sich die Zähne ausbeißen. Enttäuscht stapfte ich zurück in mein Zimmer.
    Mit meinem Lohn der letzten Woche in der Hand lief ich durchs Zimmer und suchte ein geeignetes Versteck für meinen immensen Reichtum. Ich besaß ja nicht einmal eine Geldbörse. Wozu denn auch? Bisher hatte ich noch nie mehr als zwei Pfund auf einmal gehabt.
    Ich holte auch noch den Hunderter vom letzten Wochenende aus dem zweiten Teil von Der Herr der Ringe —ich hatte Anfang der Woche damit begonnen, das Buch zu lesen, als Julian sich mir gegenüber plötzlich so rar gemacht hatte—und versteckte meinen Schatz schließlich im Kleiderschrank unter den vielen bunten T-Shirts. Da würde bestimmt niemand nach dem Geld suchen. Und selbst wenn … Marie hatte mir das Geld gegeben. Warum sollte sie es mir wieder stehlen? Er war wahrscheinlich immer noch das vorsichtige Heim-Denken, das mich hier anstiftete. Ich musste erst lernen, es abzulegen.
    Zufrieden mit mir selbst, rieb ich mir die Hände. In wenigen Tagen würden sich die Scheine in ihrem Versteck auf wunderbare Weise vermehren. Ich konnte es kaum glauben. Bald gehörte ich zu den ganz Reichen.
    Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die offene Balkontür, drehte meinen Kopf zur Seite und blickte verträumt hinaus auf die Weingärten. Da hörte ich plötzlich die Stimme meiner Mutter unten im Garten. Sie vertrieb jedes Gefühl von Zufriedenheit in mir. Meine Zehen krallten sich gegen das Parkett, als mir ein bitterer Schauer den Rücken hinunterlief.
    Sie begannen also ihren Spaziergang. Und ich bleib alleine in meinem Zimmer zurück. Julian hätte mich fragen sollen, ob ich spazieren gehen wollte. Mich allein und nicht den Drachen.
    Auf Zehenspitzen stehend versuchte ich einen Blick auf die beiden zu erhaschen, als sie gemächlich losgingen. Hinter mir tönte ein kratzendes Geräusch an der Tür, doch ich wollte erst noch Julian sehen, bevor ich rüberging, um nachzusehen, was es war. Das Kratzen wurde heftiger und dazu kam nun auch noch das Winseln eines Hundes.
    „Na schön, Lou-Lou! Ich komm ja.“ Meine anfängliche Angst vor dem Monstrum so gut wie unter Kontrolle, warf ich nachgebend die Hände in die Luft und ging zur Tür. Lou-Lou war noch nie hier oben gewesen. Zumindest nicht, seit ich hier eingezogen war. Seltsam kam mir die Sache schon vor. Doch bisher hatte sie nicht versucht, mir ein Bein oder den Kopf abzubeißen. Was konnte also schon Schlimmes passieren?
    Ich öffnete die Tür und blickte nach unten. Riesen Tatzen. Scharfe Zähne. Und so viel Blut. Etwas hing aus ihrem Maul. Etwas Grausames, Totes. In diesem Moment verlor ich jegliche Gewalt über meinen Körper und stolperte rückwärts auf den Boden. Meine Höllenangst schnürte mir den Hals zu, sodass weder Luft

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