Magazine of Fantasy and Science Fiction 19 - Welt der Illusionen
verfügt hätte. Selbstverständlich ist die Welt, auf der es Provin gibt, wesentlich weiter fortgeschritten, weil sie nie mit Ernährungsschwierigkeiten und ähnlichen Problemen zu kämpfen hatte, mit denen wir uns herumschlagen müssen.
Wissenschaftlicher Fortschritt und absolute Unfreiheit sind die beiden Kennzeichen der Gesellschaft dieser Provin-Welt. Die Menschen fühlen sich einer einzigen großen Familie zugehörig, deren Mitglieder mit wenigen Ausnahmen intelligent und einfallsreich sind – aber alle leben nur nach den Prinzipien ihrer Vorfahren, die ihre Existenz so beherrschen, daß sie geradezu lebensnotwendig geworden sind. Jedes Abweichen von den althergebrachten Sitten ist vermutlich eine Wahnsinnstat und vor allem geradezu verbrecherisch.
Nehmen wir einmal an, in dieser Provin-Welt gebe es einen Verbrecher dieser Art. Nehmen wir weiterhin an, ein genialer Mathematiker habe zehntausend Jahre lang geforscht und gearbeitet, bis es ihm endlich gelungen ist, eine Art Tür zu einer Parallelwelt zu konstruieren, auf der es aber kein Provin gibt. Und nehmen wir schließlich an, ein Kundschafter werde zu dieser Parallelwelt geschickt, wobei der Kundschafter das schwarze Schaf, der verbrecherische Individualist, sein müßte, während die Parallelwelt unsere Erde wäre.
Sehen Sie jetzt, worauf ich hinauswill, Mrs. Moswell? Dieser Kundschafter kommt aus einer genau kontrollierten und reglementierten Welt auf unsere Erde und begeistert sich dort für unsere nachlässige, unkomplizierte Lebensweise, für unsere übervölkerten Städte und unsere relative Unabhängigkeit voneinander. Die Gedanken dieser Kundschafterin – Sie haben vermutlich bereits erraten, daß ich von einer bestimmten Frau spreche – beschäftigen sich plötzlich mit Vorstellungen und Begriffen, für die es in einer Provin-Welt nicht einmal Worte gibt. Und es gefällt ihr hier so gut, daß sie endlich beschließt, ungehorsamerweise auf unserer Erde zu bleiben.
In der Vorstellung ihrer Artgenossen ist sie dadurch zu einer Verbrecherin geworden. Sie muß zurückgeholt und von dieser Krankheit geheilt werden. Häscher setzen sich auf ihre Spur und verfolgen sie mitleidlos. Sie versteckt sich, lebt in ärmlichen Verhältnissen, wird gejagt, hat Angst und ist sich dieser Verfolgung stets bewußt. Es gelingt ihr freilich, lange Jahre hindurch unentdeckt zu bleiben, aber sie befindet sich auf einer Welt ohne Provin, und ohne Provin muß sie wie wir altern und sterben. Deshalb beginnt sie ihre Experimente. Als die Versuche im Lauf der Zeit Erfolg haben, kommt sie wieder zu ihrem Provin. Nun könnte sie sich auf ein langes, glückliches Leben vorbereiten.
Aber inzwischen hat sie – vielleicht zu ihrem Unglück – einen Mann geheiratet. Dieser Mann ist ein weltfremder Idealist, der sich einbildet, es sei geradezu seine Pflicht, die Welt mit Provin bekannt zu machen. Und er beschäftigt sich nur damit, die Entdeckung seiner Frau zu verbreiten, anstatt energische Anstrengungen zu unternehmen, sich ein behagliches Heim einzurichten, in dem beide ihre endlos langen Jahre in aller Ruhe genießen könnten. Der arme Teufel hat nicht allzuviel Erfolg dabei, aber er gibt sich ehrlich Mühe, der Menschheit etwas Gutes zu vermitteln, das sie noch nicht kennt.«
Der letzte Satz kam sehr laut heraus und schien von den Ahnenporträts widerzuhallen. Mrs. Moswell saß zusammengekauert in ihrem Sessel, als habe mein Temperamentsausbruch sie erschreckt, beobachtete mich aber weiter aufmerksam. Offenbar war jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen. Ich nahm das Buch vom Teetisch.
»Mister Smeed, ich nehme Ihnen ein Exemplar ab«, sagte Mrs. Moswell leise. »Zwei Dollar, nicht wahr?«
Sie hatte tatsächlich angebissen! Jetzt noch der Fischhaken. Ich räusperte mich und sagte: »Mrs. Moswell, das Buch ist ein einziger Schwindel. Ich habe Sie angelogen. Auf unserer Welt gibt es kein Provin. Es muß aus der Parallelwelt kommen. Das Buch ist in Wirklichkeit keinen Cent wert, sondern nur für Dumme gedacht, die zwei Dollar ausgeben, ohne dabei zu denken.« Das war der wirkungsvolle Schluß, der alles entscheiden konnte. Ich stand auf und ging zur Tür, um in guter Haltung abzutreten. Dann verdarb ich mir den Abgang, weil ich über meine eigenen Füße stolperte. Allerdings trinke ich sonst keinen Tropfen Alkohol.
»Gehen Sie noch nicht, Ripley«, sagte Mrs. Moswell. »Ich möchte Sie etwas anderes fragen. Haben Sie einige Minuten länger Zeit?«
»Selbstverständlich,
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