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Magdalenas Garten

Titel: Magdalenas Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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Gebrechliche, leidende Stimme. Er legte auf.
    Â»Ich bin nicht dein Kind, dein Kind ist tot! Ich bin deine Enkelin, der du ruhig mal etwas mehr über dein Kind hättest erzählen können, verdammt!« Wütend warf Magdalena das Handy auf Ninas Bett.

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    D och alles Fluchen half nicht, das schlechte Gewissen hatte sich wie ein Hakenwurm in Magdalenas Gedärme gebohrt. Den ganzen Samstag und auch am Sonntag meldete es sich, wenn sie ab und zu aus ihrem komaähnlichen Schlaf erwachte und in das grünliche Licht der Fensterläden blinzelte. Sie sah ihren Großvater durch die Wohnung taumeln und auf dem Sofa zusammensacken, sie sah sein Gehirn auf einem Röntgenfoto, in dem sich eine neue Blutung wie rote Tinte ausbreitete, und diesmal war sie nicht da, um ihn zu retten. Sie zog sich das Laken über den Kopf, die Bilder blieben und geisterten durch ihre Träume. Einmal versuchte sie noch, Opa Rudi zu erreichen, doch er ging nicht ans Telefon, und so hinkte sie nur zur Toilette und sortierte Ninas Kleiderschrank vor ihrem geistigen Auge, bis sie endlich wieder einschlief.
    Â 
    Am nächsten Morgen war sie bereits um sieben hellwach. Sie schälte sich neben Nina aus dem Bett und begab sich an die Arbeit. Leise, ohne mit den Kleiderbügeln zu klappern, ordnete sie Ninas Schrankinhalt nach Farben. Von weiß zu schwarz, über gelb, orange, rot, der ganze Regenbogen. Nina lag eingewickelt wie eine Mumie in ihrer Decke an die Wand gepresst und rührte sich nicht. Zufrieden betrachtete Magdalena ihr Werk. Es sah wunderschön aus.

    Leise zog sie sich Ninas Nachthemd über den Kopf, das sie zum Schlafen getragen hatte, und schlüpfte in ihre neuen Sachen. Vom Markt hatte Nina ihr zwei lange weiße Tuniken mit kleinen eingearbeiteten Spiegeln mitgebracht und eine dazu passende weit geschnittene Hose. Sie schaute an sich herab. Obwohl sie sich die Sachen niemals selbst gekauft hätte, gefielen sie ihr, sie sah darin ein bisschen indisch, fast elegant aus, und die Wunde am Bein würde unter dem luftigen Stoff gut heilen können. Nina hatte wie selbstverständlich die richtigen Größen ausgewählt, alles, was sie sonst noch benötigte, durfte Magdalena sich aus Ninas gewaltigem Kleiderschrank aussuchen. Hemdchen, Slips, T-Shirts, eine kuschelige Kaschmir-Strickjacke und eben eines der altmodischen Jersey-Nachthemden, von denen Nina gleich mehrere besaß.
    Â»Nimm dir, was du brauchst!« Erstaunlich, mit welcher Großzügigkeit Nina ihre Sachen hergab. Hätte sie, Magdalena, das auch für Nina getan, wenn die plötzlich vor dem alten Schulhaus auf der Straße gelegen hätte? Aber was hätte sie ihr aus ihrem Kleiderschrank schon anbieten können? Jede Menge Sportklamotten, schwarze Trainingsanzüge, graue Kapuzenpullover, einfache T-Shirts in Blau und Weiß ohne Aufdruck. Jeans. Nicht mal neue Modelle.
    Ihr Koffer mit der Ersatzuniform und ihren anderen Sachen war längst wieder zu Hause in Osterkappeln, Busfahrer Stefan hatte ihn aus ihrem Hotelzimmer in Forte dei Marmi zu Opa Rudi gebracht, das hatte er ihr per SMS geschrieben. Ein netter Typ, dieser Stefan, schwache Witze, aber netter Typ.
    Â 
    Zehn vor acht, Magdalena schlich aus dem Zimmer und an dem schlafenden Matteo vorbei auf die Terrasse. Der Morgen war herrlich, die Luft duftete nach Honigtau, Blüten und dem Harz der Pinien, doch er hielt auch ein unangenehmes Telefonat
für sie bereit: Es war Montag, sie musste sich beim Ditfurther Verlag melden. Sie wählte die Nummer, hoffentlich war der Seniorchef schon da. Er kam meistens als Erster, aber heute hatte sie Pech und nach zweimaligem Klingeln Lumpi an der Strippe. Der Junior. Eigentlich Ludger. Er war nur ein Jahr älter als sie, hatte keinen blassen Schimmer von Kartografie und bestand seit seinem BWL-Studium darauf, von allen gesiezt zu werden, auch von den um zwanzig Jahre älteren Brillen-Zwillingen, bei denen er schon auf dem Schoß gesessen hatte, als er noch zärtlich bei seinem Spitznamen gerufen wurde. Magdalena erklärte ihm, dass sie noch in Italien war, sich bei dem Sturz mit dem Roller verletzt hatte und diese Woche ausfallen würde.
    Â»Was denken Sie sich eigentlich?«
    Â»Ich hatte einen Unfall , Herr Ludger, einen Unfall hat man nicht absichtlich.« Sie schaffte es nicht, sich ihre spezielle Anrede für ihn zu verkneifen. Wie immer ärgerte es ihn, seinen Vornamen zu hören, das

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