Maggie O'Dell 03 - Schwarze Seele
auftauchte, wohl weniger von seiner liebenswerten Präsenz als vielmehr von der Pizza angezogen. Da machte er sich nichts vor.
„Hallo, Süße.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Wange, was sie nur tolerierte, wenn sie allein waren.
Sie trug die Kopfhörer um den Nacken gelegt, ein Kompromiss, der viel Drill und ständige Ermahnungen erfordert hatte, sich aber lohnte, obwohl er die Musik immer noch plärren hörte. Die Musikrichtung störte ihn nicht, da er gelegentlich auch noch gern ohrenbetäubende Rockmusik hörte, vorzugsweise von den Stones oder den Doors.
Emma holte Pappteller und Plastikbecher, die als fester Bestandteil zu jedem mitgebrachten Essen gehörten, wie sie vor langer Zeit übereingekommen waren. Was hatte es schließlich für einen Sinn, das Essen von jemand anders zubereiten zu lassen, wenn man hinterher Geschirr spülen musste? Während er die Pizzastücke auflud und beobachtete, wie Emma ihnen Cola einschenkte, fragte er sich, wann ein guter Zeitpunkt war, über das tote Mädchen mit ihr zu sprechen.
„Küche oder Wohnzimmer?“ fragte sie und nahm Teller und Becher auf.
„Wohnzimmer, aber keine Flimmerkiste.“
„Okay.“
Er folgte ihr in den Wohnraum. Als sie sich auf den Boden setzte, tat er es ihr gleich, obwohl sein Bein immer noch ein bisschen empfindlich war. Was ihn daran erinnerte, dass Agentin O’Dell ihre Narbe niemals erwähnte oder sich über sie beklagte. Die Narbe war eine Erinnerung an den Serienkiller Albert Stucky. Er hatte sie nie gesehen, man munkelte jedoch, dass sie ihr quer über den Bauch verlief, als hätte der Mann versucht, sie auszuweiden. Immerhin hatte er jetzt etwas gemeinsam mit O’Dell. Auch er hatte eine Narbe von Stucky, der ihn letzten Frühling angeschossen hatte, während er und O’Dell versuchten, ihn wieder einzufangen.
Obwohl die Kugel einigen Schaden angerichtet hatte, ließ er sich nicht vom täglichen Joggen abbringen. Die Kugel hatte ihm einiges vermasselt, einschließlich des behaglichen Sitzens auf dem Boden. Seine Muskeln stachen und pieksten. Einige Dinge lohnten jedoch den Schmerz, und mit Emma auf dem Boden sitzend Pizza zu essen, gehörte zweifellos dazu.
„Mom hat angerufen“, bemerkte sie, als sei das etwas Alltägliches. „Sie sagte, sie hätte wegen Thanksgiving mit dir gesprochen und du wärst ganz cool mit allem einverstanden.“
Er presste die Kiefer aufeinander. Er war nicht cool mit allem einverstanden, aber das brauchte Emma nicht zu wissen. Er sah sie eine lange blonde Haarsträhne zurückschieben, um sie von den Käsefäden fern zu halten, die ihr Pizzastück zog.
„Bist du cool damit einverstanden, Thanksgiving in Cleveland zu verbringen?“
„Denke schon.“
Das war eine typische Emma-Antwort. Ein Hauch von Gleichgültigkeit, gemischt mit einem Schulterzucken, das besagte: Du verstehst das ja sowieso nicht. Er wünschte, jemand hätte ihn vor langer Zeit eingeweiht, dass für den Vater eines Teenagers ein Diplom in Psychologie unabdingbar war. Vielleicht machte ihm deshalb sein Job so viel Spaß. Sich in Serienkiller einzufühlen war ein Klacks verglichen mit dem Einfühlen in einen Teenager.
„Wenn du nicht hinfahren möchtest, musst du nicht.“ Er nahm einen Schluck Cola und versuchte sich in der Kunst der Gleichgültigkeit, die seine Tochter perfektioniert hatte.
„Sie hat schon alles geplant und vorbereitet.“
„Macht nichts.“
„Ich hoffe nur, dass sie ihn nicht auch eingeladen hat.“
Tully war nicht sicher, wer der Neue im Leben seiner Exfrau war. Er wollte es auch nicht wissen. Seit ihrer Scheidung hatte es mehrere Neue gegeben.
„Wenn deine Mutter einen neuen Partner hat, möchte sie ihn zum Erntedankfest vielleicht einbeziehen. Das musst du verstehen, Emma.“
Großer Gott, er konnte nicht fassen, dass er Carolines Recht auf immer neue Lover verteidigte. Die bloße Vorstellung, dass sie mit einem anderen zusammen war, machte ihn sauer, schlimmer noch, sie verschlug ihm den Appetit. Vor zwei Jahren hatte seine Frau plötzlich entdeckt, dass sie ihn nicht mehr liebte. Die Leidenschaft in ihrer Ehe sei erlosehen, und sie müsse nun weiterziehen. Es gab wohl kaum etwas Wirkungsvolleres, das Selbstwertgefühl eines Mannes zu zerstören, als von der eigenen Frau zu hören, sie müsse nun weiterziehen, fort von seiner leidenschaftslosen, nicht liebenswerten Person.
„Was ist mit dir?“
Für einen Moment hatte Tully vergessen, worüber genau sie gesprochen hatten. „Was meinst
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