Magical
vor, als wäre er gar nicht der, für den ich ihn immer gehalten hatte, aber ich sagte: »Was möchtest du wissen?«
»Alles. Meine Mutter wollte mir nie etwas über ihn erzählen. Ich habe noch nicht einmal ein Bild von ihm gesehen – sie hat ihn aus all meinen Babyfotos herausgeschnitten. Auf einem war nur noch eine linke Hand von ihm zu sehen. Ich habe mir immer diese Hand angeschaut und mich gefragt, ob ich sie wohl erkennen würde, wenn ich sie wiedersähe.«
Während sie sprach, fiel mein Blick auf ein Foto, das mich und Dad bei meinem Abschluss der fünften Klasse zeigte. Mom hatte das Bild gemacht, und Dads Hand lag auf meiner Schulter. Ich sah schnell weg, bevor Lisette meinem Blick folgen konnte.
»Na ja«, sagte ich, »er gärtnert sehr gern. Wir haben hinter dem Haus einen Schmetterlingsgarten.« Klangdas lahm? »Einmal, das war letztes Jahr, hatten wir dort zwanzig Monarchfalterpuppen, die alle am selben Tag geschlüpft sind.«
»Wow, das hätte ich gern gesehen.«
Ich hoffte, das hatte nicht so geklungen, als wollte ich angeben. »Vielleicht passiert es ja noch mal. Der Monarchfalter legt seine Eier auf eine Pflanze, die Seidenpflanze heißt. Manchmal bringen wir sie in ein Schmetterlingshaus, damit sie sich dort verpuppen.«
Lisette wackelte in dem warmen Wasser mit den Zehen. Ich überlegte, was ich ihr noch erzählen konnte; etwas, das nicht so klang, als wären Dad und ich wie siamesische Zwillinge.
»Oh, und er hat ein Segelboot. Aber ich stehe nicht so auf Segeln. Ich werde seekrank und die Sonne ist schlecht für meine blasse Haut. Ich hasse meine Haut.«
»Deine Haut ist doch schön. Du könntest diese kleinen Mitesser ausdrücken, aber abgesehen davon …«
»In den Zeitschriften steht, dass man sie nicht ausdrücken darf.«
»Ja, okay, aber wer will schon mit hundert Mitessern herumlaufen? Du musst sie nur sofort, wenn du aus der Dusche kommst, ausdrücken.«
Ich nickte, erstaunt, wie dumm ich doch gewesen war. Lisettes Haut war perfekt, also wusste sie offensichtlich Bescheid. Für so etwas brauchte man Freundinnen.
»Bereit zum Lackieren!« Lisette tippte auf meinen Fuß. »Hör auf, deine Zehen einzurollen.«
»Meine Füße sind so hässlich.«
»Die sind doch ganz okay. Wenn der zweite Zeh länger ist als der große Zeh, ist das ein Zeichen für Führungsqualitäten.«
»Deine Füße sind winzig.« Mir fiel dieses Buch wieder ein, dass ich über das Binden von Füßen in China gelesen hatte, wo das Mädchen mit den kleinsten Füßen früher den reichsten Ehemann abbekam. Und dann war da noch Aschenputtel. In älteren Versionen schnitten die Stiefschwestern ihre Zehen und Fersen ab, um den Prinzen dazu zu überlisten, sie zu heiraten. Ich sah auf meine großen Zehen hinunter und wusste, welche von uns beiden die Stiefschwester in der Geschichte sein würde.
»Ich hasse meine Füße«, sagte Lisette. »Ich mache Ballett und durfte erst letztes Jahr Spitzenschuhe tragen. Meine Lehrerin hat gesagt, meine Füße seien unterentwickelt. Dann, als ich sie schließlich bekam, musste ich damit aufhören.«
»Warum …?« Ich verstummte. Natürlich musste sie wegen ihrer kranken Mutter aufhören. »Es ist so cool, dass du Ballett machst. Vielleicht kannst du hier wieder anfangen.«
Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht schon. Aber ich vermisse mein altes Studio. Ich vermisse …« Sie schaute weg. »Ich vermisse alles.«
Sie warf einen Blick auf das Foto von Dad und mir und ich merkte, dass sie es schon gesehen hatte. Kurz darauf nahm sie den farblosen Nagellack. »Okay, dann mal los!«
Eine Stunde später hatten wir identische, zusammenpassende Finger und Zehen, und Lisette war damit fertig, mir Löcher in den Bauch zu fragen wegen Dad. Da kam Mutter nach Hause. Sie kam herein ohne anzuklopfen und erfasste die Szene sofort: Lisette und ich als beste Freundinnen. »Hast du keine Hausaufgaben?«
»Ich habe sie schon in der Schule gemacht.«
Sie sah nur mich an, ohne Lisette zur Kenntnis zu nehmen.
»Habt ihr nicht diese Projektarbeit in Ms Dillons Unterricht?«
»Sie hat Zeit bis nächsten Freitag, und ich bin schon halb fertig.«
Warum musste sie so eine Glucke sein? Ich wusste, dass meine Mutter Rechtsanwältin gewesen war, bevor sie Daddy geheiratet hatte. Genau genommen hatten sie sich bei der Arbeit kennengelernt. Und manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie dringend wieder einen Job brauchte, damit sie sich meinetwegen nicht die ganze Zeit so aufregte. Ich machte meine
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