Magie der Schatten 1 - Barshim und Cashi
fiel ein wenig Tageslicht. Dort hatte sie zwei Tage gehockt, die Arme um die Knie geschlungen und den Oberkörper vor und zurück wiegend, ins Leere gestarrt. Ihr erster Wunsch war, zurückzukehren in ihre Heimat, Shorbo um Verzeihung zu bitten und wieder in den Hügeln zu leben. Weit weg von diesem Dreck, dem Schmerz ihrer Glieder und der Pein ihrer Seele. Als Kind, erinnerte sich Cashimaé, hatte sie nur ein einziges Mal geweint, als sie schwer auf einen Stein gestürzt war und sich das Knie aufgeschlagen hatte. Dort in dieser wunderschönen Stille der weiten Graswiesen war Shorbo als ihr Ziehvater niedergekniet, sein Atem hatte heilend über die Wunde gestrichen und seine Hand ihren Kopf getätschelt. »Sha«, hatte ihre brüchige Stimme in die Spinnennetze und Staubfäden gefleht.
Als erstes brannte der Durst in ihr und nach zwei Tagen war der große Hunger gekommen. Er nagte in ihr, wie ein Biber, der einen Baum mit seinen Zähnen bearbeitete, um einen Damm zu errichten. Er begann als kleine Maus und am Ende hockte in ihr eine Ratte, die sie stetig daran erinnerte, wie verletzlich sie war. Damit kam der Zorn. Die Wut auf Shorbo, ihr niemals gesagt zu haben, was dort draußen auf sie wartete. Die Wut auf Tamin, für den sie nur noch einen Besitz darstellte.
Und sogar auf Barshim, der nicht kam, um sie hier draußen zu retten. Groß und stark hatte er stets auf die junge Frau gewirkt und am Ende gab er klein bei. Sie spürte Ärger auf die ganze Welt, auf alles, was sie nicht kannte und nie kennen lernen wollte. Sie fühlte sich einem Fähnchen im Winde gleich, das zwischen Trotz, Selbstmitleid und zerstörerischen Rachegelüsten hin und her schwankte und dazwischen tanzte das Licht des verletzten Stolzes.
Cashimaé hatte es in diesen Anfangstagen noch nicht wahr genommen, doch gerade ihrer Magie beraubt, war die kleine Stimme, die in ihr von Ungerechtigkeit flüsterte, stetiger als alles andere.
Sie würde lauter werden.
Am vierten Tag erhob sie sich endlich, schritt zu Tamin hinunter, der am Tisch saß und mit einer Hand auf einen Eimer mit Wasser wies. Sie trank gierig und stopfte das trockene Brot in den Mund, das direkt danebenlag. Es ging gar nicht schnell genug und als Tamin sie belustigt dabei beobachtete, wischte sie sich beschämt über den Mund und senkte den Blick zu Boden. Der Magier hatte gewusst, dass sie kommen würde.
Seitdem ging sie ihren Arbeiten nach. Am Anfang erklärte Tamin ihr haarklein, was sie zu tun hatte. Zu Hause hatte sie weder Wäsche gewaschen noch Böden geputzt. Er zeigte es ihr, indem er den Eimer über ihr ausleerte oder die Wäscheleine einfach löste, sodass die in mühevoller Arbeit gereinigte Kleidung in den Dreck fiel.
Doch Cashimaé hatte geschwiegen. Und als sie alles zu seiner Zufriedenheit gelernt hatte und ausführte, ließ er sie in Frieden.
Übers Abhauen dachte sie oft nach. Wohin aber sollte sie gehen? Die Fremde machte ihr angst. Alles machte ihr angst dort draußen. Baitimes war ein vertrauter Ort. Comoérta ein Abenteuer, aber sie war dabei niemals allein gewesen. So hatte sie sich erst einmal in ihre Rolle gefügt, doch in einem war sich Cashimaé sicher, die ganzen fünf Jahre sollte das nicht so bleiben.
* Gute Nacht
Kapitel 14
Der Abend war herein gebrochen über Liyiell. Über der Alten Welt lag ein kühler Regen, der sich über die herabgefallenen Blätter ausbreitete. Die Luft schwanger von Düften bestehend aus Moos und verwelktem Laub. Der Herbst war eingezogen und kündigte den nahen Winter an.
In den Hallen brannten hell die Fackeln in den Wandhalterungen und verliehen den Gängen Wärme und Behaglichkeit. Das Licht schimmerte golden auf dem weißen Marmorboden, mit der schwarzen Maserung.
Barshim schlenderte im ersten Obergeschoss durch einen Seitengang und betrachtete dabei beiläufig die Verzierungen an den Säulen und Ecken der Wände. Zumindest dann, wenn jemand anderes ihm entgegen kam. Sobald er sich wieder allein fühlte, huschte er zur nächsten Tür, drückte sein Ohr daran ehe er diese vorsichtig öffnete. Meist sprach sein Gesichtsausdruck von Enttäuschung.
Seit Wochen langweilte er sich in den Unterrichtsstunden der Grundmagie. Kapitel, die er im Schlafe beherrschte. Barshim war mit der Hoffnung hier her gekommen, etwas Neues zu lernen, und bitter enttäuscht worden. Die Priesterin des Kreisführers belud ihn mit weisen Sprüchen und Büchern, von denen sie sicher war, dass er noch etwas daraus lernen konnte. Als Person
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