Magie der Schatten: Roman (German Edition)
und ich von irgendeinem anderen gehört habe. Weißhügel jedenfalls liegt östlich von hier, einige Tagesreisen entfernt. Eine Händlerstadt, ein Umschlagpunkt für Waren, sogar aus dem Osten.«
»Allzu viele Bewohner gibt es dort wahrscheinlich nicht.« Er blickte über die morgendliche Silhouette der Stadt. Rauch stieg aus nahezu allen Schornsteinen.
Lenia stupste ihn an. »Nairod? Du willst nach Weißhügel reisen? Sieht dein Rucksack deswegen heute ausnahmsweise so voll aus?«
Als er sich des Gewichts auf seinem Rücken wieder bewusst wurde, schwankte er gefährlich auf dem schmalen Torbogen. »Töpfe, Rationen, ein Schlafsack … Das, was man so braucht, wenn man günstig reisen und nicht alles unterwegs kaufen will.«
»Du weißt doch überhaupt nicht, wann diese Nachricht geschrieben und wann sie in die Bibliothek gelegt wurde. Dieser Ariman hat vielleicht vor drei Jahrhunderten gelebt.«
Er steckte die Notiz wieder ein. »Das Risiko nehme ich in Kauf.«
Lenia runzelte die Stirn. »Was hast du denn dort vor? Du willst das ganze Buch haben, und Ariman doch sicher ebenfalls.«
»Wahrscheinlich. Aber es ist seltsam. Wenn dieser Mann, der das Buch geschrieben hat, tatsächlich eine Formel für seine Unsterblichkeitsmagie entdeckt hat, dann müsste die doch im zweiten Buchteil niedergeschrieben sein. Ariman bräuchte meinen Teil des Buchs gar nicht.«
»Nairod.« Lenia sah ihn an. »Hast du schon einmal daran gedacht, dass es vielleicht gar keine Zauberformel gibt? Ariman ist womöglich nur ein Sammler alter Schriften, und er hätte das Buch einfach gerne vollständig.«
»Oder es gibt Hinweise im ersten Teil, die für die Formel wichtig sind. Es kann doch sein, dass er die Formel nicht niedergeschrieben, sondern wie ein Rätsel in dem Buch verborgen hat, so dass man jede einzelne Seite braucht, um sie zusammenzusetzen.«
»Schau mich an.«
»Hm?«
»Du hast Ringe unter den Augen. Sag mir nicht, dass du die ganze Nacht …«
Nairod rieb sich über das Gesicht. Eine schwache Erinnerung des Rauschs, der ihn beim Lesen erfasst hatte, hallte durch seinen Körper. Aber auch die Müdigkeit kehrte bleiern in seine Glieder zurück. Er spannte die Muskeln an und hielt sich aufrecht. »Ich werde weitersuchen, zwischen den Zeilen. Irgendwann finde ich etwas. Ich will vorbereitet sein, wenn ich Ariman begegne.«
Lenia seufzte. »Eigentlich wollte ich nur, dass du etwas öfter in die Akademie kommst. Ich habe gedacht, ein spannendes Buch über die Magie könnte dich dazu bewegen. Aber jetzt gehst du einfach weg.«
»Vielleicht komme ich ja wieder.«
»Was heißt denn vielleicht ? Das ist sehr ermutigend.«
»Heh«, sagte er. »Ich danke dir, dass du mir geholfen hast. Das war ziemlich nett. Hätte sonst sicher keiner gemacht. Aber jetzt muss ich eben sehen, wie ich allein weiterkomme.« Er hob die Hand zu einer Abschiedsgeste.
Schließlich ließ er sich vom Torbogen hinuntergleiten und sprang auf die Straße hinab. In seinem Rucksack rasselte es. Er hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten.
»Warte.« Lenia rutschte von der Mauer und kletterte ebenfalls hinunter, bis sie ihm gegenüberstand. »Wissen deine Eltern davon?«
Er sah zur Seite. »Unsinn. Meine Mutter glaubt, ich würde ein großer Zauberer werden. Sie weiß nichts davon, dass ich nur eine Begabung habe. Ich gebe ihr einen Grund zur Freude, wenn ich mit der Formel zurückkehre.«
Lenia stellte ihren Ranzen ab. »Dann bin ich ja jetzt die Einzige, die Bescheid weiß. Und niemand hat dir etwas auf die Reise mitgegeben.«
»Wie gesagt, meinen Schlafsack habe ich und auch alles andere, was ich brauche.«
Lenia nahm etwas aus ihrer Tasche. Sie barg es in ihrer Faust und streckte Nairod die geschlossene Hand entgegen. Zwischen den Fingern leuchtete es blau. Zögerlich streckte er seine eigene Hand aus. Lenia öffnete ihre, und das blaue Leuchten fiel heraus. Auf Nairods Handteller lag ein kleines Gebilde. Winzige, sandkorngroße Kristalle bildeten ein Nest, aus dem eine größere, ineinander verästelte Kristallform wuchs.
»Ein Machtkristall?«, fragte er.
»Ein kleiner.« Lenia lächelte. »Er zerbricht natürlich, wenn du ihn benutzt. Aber er kann die Kraft deiner Magie verdoppeln. Trotzdem ist er natürlich nichts im Vergleich zu den teuren, die so groß sind wie deine Faust.«
»Der hier war sicher auch nicht gerade billig.« Nairod drehte den Kristall und besah ihn sich von allen Seiten. Das Leuchten in seinem Innern war kräftig und
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