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Magie und Schicksal - 2

Magie und Schicksal - 2

Titel: Magie und Schicksal - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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Luft wird feuchter. Ein metallischer Geruch steigt aus der Tiefe auf.
    »Wir sind fast da«, verkündet die Traum-Alice.
    Das andere Mädchen, das sie unbarmherzig hinter sich herzieht, verrenkt sich den Hals, um mich anzuschauen. Der Schrecken in ihren Augen lässt mir das Herz in die Hose rutschen. Sie stolpert und versucht, ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen. Sie macht noch ein paar Schritte und bleibt dann wie angewurzelt stehen. Und dann höre ich es auch: das Geräusch von Wasser. Es tröpfelt, offenbar in kleinen Rinnsalen, gegen den Stein der Höhle.
    Die Traum-Alice bleibt nicht stehen. Sie zerrt lediglich fester an der Hand des anderen Mädchens. »Na komm schon, keine Angst. Es ist doch nur Wasser.«
    Ich will nicht weiter mitgehen. Zweimal schon bin ich beinahe ertrunken. Ich habe Angst vor Wasser. Nur vor meiner Schwester habe ich noch mehr Angst.

    Trotzdem gehe ich weiter. Ich schaue zu, wie das verängstigte Mädchen tiefer und tiefer in die Höhle gezerrt wird. Ihre Furcht ist es, die mich an sie bindet. Ich kann sie nicht verlassen, nicht einmal im Traum.
    In der Höhle wird es plötzlich sehr dunkel. Ich kann die Mädchen nicht mehr sehen, denn die Fackel beleuchtet nur wenige Zentimeter des Weges vor meinen Füßen. Dahinter ist alles schwarz – bis wir um eine weitere Biegung kommen und plötzlich in einem scheinbar riesigen Raum stehen.
    Doch der Schein trügt. Der Raum wirkt nur groß, weil man die Höhlendecke nicht sehen kann. In Wahrheit ist er sogar recht klein, durchzogen von einem unheimlichen roten Glühen, das einen Abgrund wenige Schritte vor uns erleuchtet. Tropfen fallen aus der gähnenden Leere über uns, rinnen über die Höhlenwände oder landen klatschend irgendwo in dem Abgrund. Ich trete näher. Tief unten, so tief, dass man genau hinschauen muss, liegt ein Teich. Die Wasseroberfläche schimmert pechschwarz.
    Instinktiv weiche ich vor dem schroff abfallenden, felsigen Ufer des Teichs zurück. Es schüttelt mich vor Angst, und ich habe Mühe, die Fackel festzuhalten, sosehr zittert meine Hand. Am liebsten hätte ich mich an die Höhlenwand geklammert und mich daran entlang zurück zum Ausgang geschoben.
    Aber ich bin wie erstarrt. Ich kann nicht weg, denn ich weiß, dass gleich etwas passieren wird.
    Und ich bin hier, weil ich das sehen muss. In einem solchen Traum hat man keine andere Wahl.

    »Komm näher«, sagt die Traum-Alice. »Schau hin.«
    Ich möchte mich weigern, aber die Augen des anderen Mädchens sind flehend, als ob meine Nähe sie retten könnte. Aber ich weiß es besser.
    Trotzdem muss ich es versuchen, und so rücke ich vorsichtig nach vorn und strecke dem verängstigten Mädchen die Hand hin. Ich will sie von dem wässrigen Abgrund, an dessen Rand sie steht, wegziehen.
    Aber so weit kommt es nicht. Ich bin schon ganz nah, meine Hand berührt fast schon ihre kleine, zitternde Gestalt, als Alice ihre Hand loslässt. Einen Augenblick glaube ich, dass man ihr die Freiheit schenkt.
    Dann tritt die Traum-Alice einen Schritt vor und streckt beide Hände aus. Der Stoß ist so sanft, so zärtlich, dass ich kaum merke, wie das braunhaarige Mädchen in dem Abgrund verschwindet.
    Ich mache einen Satz vorwärts, meine eigene Furcht nicht beachtend. Sie fällt immer noch, als ich über den Rand der Klippe nach unten blicke. Es ist kein Schrei zu hören, kein Laut, während sie fällt. Inmitten einer unheimlichen Stille rudert sie mit den Armen. Ihr Gesicht ist friedlich. Auch dann noch, als es sich in mein eigenes verwandelt.
     
    Mr O’Leary versorgt uns mit einer neuen Karte. Er erklärt uns, dass die Karte, die wir mit uns führen, hoffnungslos veraltet ist. Es scheint, dass sich Mr O’Learys Aufgabe als Verwalter auch darauf erstreckt, das Kartenmaterial nach jeder neuen Entdeckung zu aktualisieren und an alle weiterzugeben,
die zu Forschungszwecken hierher kommen. Er erfüllt diese Aufgabe seit einigen Jahren – seit Wissenschaftler und Gelehrte die Grabanlage wiederentdeckt haben – mit großer Sorgfalt, und obwohl er nicht glücklich darüber zu sein scheint, uns helfen zu müssen, fühlt er sich offensichtlich dazu verpflichtet. Wir unsererseits nehmen seine Hilfe genauso ungern an, aber es wäre andererseits unklug, es nicht zu tun.
    Nach reiflicher Überlegung fangen wir mit dem größten Höhlengrab an. Ich glaube zwar, dass der Stein vermutlich an einem nicht ganz so auffälligen Ort versteckt liegt, um nicht die Aufmerksamkeit des zufälligen Besuchers auf

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