Magie
»Sie war die erste freie Frau, die uns half. Durch ihre Bemühungen wurden viele Frauen gerettet. Aber wir haben es nicht vermocht, sie zu retten. Also nennen wir uns im Gedenken an sie ›die Verräterinnen‹.«
»Selbst die Tochter eines Kaisers...« Stara schüttelte den Kopf, dann richtete sie sich auf. »Ich will helfen, aber was kann ich tun?«
Tavara lächelte. »Für den Anfang gibt es einen simplen Schwur, und wir stecken Euch diesen Ohrring an.«
Stara schaute auf den Ohrring hinab und verzog das Gesicht. »Ich habe nie Gefallen gefunden an der Idee, meine Ohren zu durchstechen oder irgendetwas anderes, was das betrifft. Wird mein Ehemann Verdacht schöpfen, wenn er diesen Schmuck sieht?«
»Nein. Freie Sachakanerinnen lieben Schmuck und beschenken einander ständig damit. Es wird wehtun, aber es wird im Nu vorüber sein.« Tavara nahm den Ohrring aus Staras Hand. »Wer hat die Salbe?«
Chiara förderte einen kleinen Krug zutage. Staras Magen schnürte sich zusammen, als Tavara ihr Ohrläppchen ergriff. Sie wurde vollkommen reglos, denn sie machte sich Sorgen, was geschehen würde, wenn sie sich bewegte, während die Nadel in ihrem Ohr steckte.
»Sprecht mir nach«, sagte Tavara. »Ich schwöre, dass ich niemals aus freien Stücken die Existenz der Verräterinnen, ihr Gelübde und ihre Pläne offenbaren werde.«
Stara wiederholte die Worte und zuckte in Erwartung des Schmerzes zusammen.
»Und dass ich allen Frauen helfen werde, seien sie Sklavinnen oder Freie.«
Sie wusste, dass sie schneller und schriller sprach als gewöhnlich, und ihr Herz hämmerte vor Furcht. Ich werde nicht schreien, sagte sie sich und biss sich auf die Unterlippe.
»Und tun, was ich kann, um sie vor der Tyrannei der Männer zu retten.«
Als sie das Wort »Männer« aussprach, flammte ein scharfer Schmerz in Staras Ohrläppchen auf, und sie stieß ein unterdrücktes Kreischen aus. Dann wurde ihr ganzes Ohr heiß. Chiara und Tavara machten sich eifrig an dem Ohrring zu schaffen. Etwas Kühles breitete sich auf ihrem Ohrläppchen aus. Tavara trat zurück.
»Hier.« Chiara drückte Stara den Krug in die Hand. »Streich dies zweimal am Tag auf, bis es heilt. Aber vergiss nicht, der Edelstein muss deine Haut berühren, um zu funktionieren, und die Salbe kann wie eine Barriere wirken.«
Tavara lächelte. »Gut gemacht, Stara. Jetzt bist du eine von uns. Willkommen bei den Verräterinnen.«
Plötzlich war Stara der Gegenstand vieler herzlicher Umarmungen, sowohl seitens der Ehefrauen als auch der Sklavinnen. Und keine Frau umarmte sie so fest wie Vora.
»Gut gemacht«, murmelte die Sklavin.
»Hmpf«, erwiderte Stara. »Du hättest mich warnen können, dass man mir das Ohr durchstechen würde.«
»Und den Ausdruck auf Eurem Gesicht verpassen?« Die alte Frau grinste. »Niemals.«
Obwohl es in den Bergen kühler war, war es immer eine Erleichterung, wenn die grelle Sommersonne in das goldene Abendlicht überging. Dakon blickte nach vorne und konnte einen Stich der Furcht nicht unterdrücken. Die Späher hatten berichtet, dass der Pass und die Passstraße in beide Richtungen frei waren. Keine Sachakaner, seien sie Magier oder andere, lauerten dort.
Dennoch kam es ihm unklug vor, dort über Nacht zu lagern, aber genau das beabsichtigte der König. Dakon vermutete,
dass die meisten Magier das Bedürfnis hatten, an der Grenze zu rasten, um sich davon zu überzeugen, dass sie endlich die letzten der Eindringlinge aus Kyralia vertrieben hatten.
Ob es wirklich so war, konnte niemand mit absoluter Gewissheit sagen. Seit mehreren Wochen hatte sich die kyralische Armee, verstärkt durch die Elyner, aufgeteilt, um die Überlebenden der feindlichen Armee zu verfolgen. Eine Handvoll Sachakaner war gefunden und getötet worden. Keiner hatte sich ergeben, obwohl Dakon Zweifel hatte, was den letzten Sachakaner betraf, den seine Gruppe aufgespürt hatte. Der Mann war aus freien Stücken hervorgekommen und hatte hektisch gewunken, bevor er niedergestreckt wurde. Dakon hatte sich die Frage verkniffen, ob der Mann vielleicht versucht hatte, sich zu ergeben. Er wollte jedoch nicht unnötig Zweifel säen. Vor allem nicht bei Narvelan, der, nachdem er das erste Mal getötet hatte, bereits genug Zweifel ausgestanden hatte.
Eine kleine Anzahl von Sachakanern hatte überlebt, weil sie als Erste geflohen waren und den nördlichen Pass erreicht hatten, bevor sie sie hatten einholen können. Dakon wusste, dass Takado unter ihnen war.
Nachdem
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