Magische Insel
Rücken und ging zur Treppe.
»Du kannst bleiben. Du hast die Rast nötig.«
Er betrachtete mich, sagte jedoch nichts.
Ich spürte seine Augen auf mir und den Hass, der so tief wie der Nordfluss bei Hochwasser und beinahe so wild war. Ich stellte einen schmerzenden Fuß vor den anderen, weil ich so schnell wie möglich von dem Händler wegkommen wollte.
Waren alle Händler unter der Oberfläche wie er, indem sie glaubten, die Menschen seien hilflos? Und warum hatte der Stab sein Handgelenk verbrannt? Mit Holz kannte ich mich aus und wusste auch einiges über Metall, und der Stab war nichts anderes: Holz und Stahl … Holz und geschmiedetes Metall, ganz sicher.
Ich kannte einige Tricks mit dem Stab. Mein Vater hatte darauf bestanden – nur zur Übung. Das war mehrere Jahre vor meiner Lehrlingszeit bei Onkel Sardit gewesen. Ich schätze, manche Dinge vergisst man nicht. Aber selbst wenn ich mich an die Übungen erinnerte, würde Angst nicht dazu führen, dass der Stab jemanden verbrannte.
War es möglich, dass der Händler ein Teufel war? Das konnte ich nicht so recht glauben, auch wenn die alten Sagen von Teufeln erzählten, die bei der Berührung mit kaltem Eisen Verbrennungen davontrugen.
Ich zitterte trotz des Sonnenscheins, der Hitze und des Staubs. Hatten die Reaktionen des Händlers und der jungen Frau etwas mit mir zu tun? Oder mit dem Stab? Aber in Recluce gab es keine Zauberei, und ich war mit Sicherheit kein Zauberer.
Wieder schauderte ich, als ich weitermarschierte.
VI
N ylan war immer schon die Schwarze Stadt gewesen, so wie das vergessene Frven einst die Weiße Stadt gewesen war. Es spielte keine Rolle, dass Nylan kaum mehr Einwohner als ein Dorf hatte oder dass es ein Hafen war, der nur von der Bruderschaft benutzt wurde. Es spielte auch keine Rolle, dass es eine Festung war, die nie erstürmt und nur ein einziges Mal auf die Probe gestellt worden war.
Nylan ist die Schwarze Stadt und wird es immer bleiben.
Von der Hohen Straße aus sah man auf den ersten Blick eine niedrige schwarze Staubwolke, dann einen Hügel. Erst als ich nur mehr eine knappe Meile entfernt war, wurde mir die Größe klar. Die Mauern sind nicht besonders hoch, vielleicht sechzig Ellen, aber sie erstrecken sich von einer Seite der Halbinsel bis zu anderen. Es gibt nur ein Tor. Das liegt an der Mündung der Hohen Straße. Ich hatte Gemälde der Wälle und Schlösser in Candar, Hamor und Austra gesehen, doch Nylan war anders. Seine Mauern waren gesichtslos. Keinerlei Schießscharten oder Zinnen. Die Hohe Straße führte geradewegs zum Tor.
Das andere Ende der Hohen Straße liegt in Landende, fast siebenhundert Meilen östlich. Landende ist genau wie der Name besagt: Recluce endet dort. Einst war es ein Seehafen, ehe die Strömungen und Winde den Golf von Murr, eine ehemals geschützte Bucht, zu einer der stürmischsten Gegenden des Ostmeeres machten. Gelegentlich landen Schiffe dort, doch meist nicht freiwillig. Der offizielle Hafen ist Nylan. Das war mir schon damals eigenartig vorgekommen, als Magister Kerwin es uns im Geographieunterricht beibrachte.
Die Klippen, nicht die Mauern sind das beeindruckendste an Nylan. Sie sind schwarz wie die Mauersteine, so glatt wie Eis und ragen zweihundert Ellen aus den dunklen graublauen Wogen auf, die sich an ihnen brechen.
Ich sah die Klippen und Mauern um die Mittagszeit, als die Sonne darauffiel. Selbst in vollem Sonnenlicht ähnelten sie Schatten. Mich schauderte, und ich packte den Stab fester. Er fühlte sich warm an, als wolle er die Kälte in meinem Innern vertreiben.
Beim Anblick der schweren schwarzen Torflügel, der schwarzen Quader und der Klippen verstand ich, warum man Nylan die Schwarze Stadt nannte. Mich beschlich Angst, sie zu betreten. Doch hatte ich keine Wahl.
Das Tor stand weit offen. Ich sah keinen Menschen.
Ich ging die letzten Ellen der Hohen Straße entlang, blieb in dem schmalen Schattenband vor dem Tor stehen und blickte zu den schmucklosen Mauern hinauf.
»Was ist der Grund deines Kommens, Reisender?«
Die Stimme klang angenehm. Ich sah mich nach der Sprecherin um. Schließlich entdeckte ich sie. Sie saß in einer Mauernische neben dem Torbogen, ungefähr sieben oder acht Ellen über der Straße. Wenn sich die Torflügel schlossen, war ihr Sitz verdeckt.
Sie trug eine schwarze Hose, eine schwarze Tunika und schwarze Stiefel. Neben ihr lehnte ein Stab, der meinem glich. Ihr Haar schien braun zu sein. Genau konnte ich es im Schatten nicht
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