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Magische Insel

Titel: Magische Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. E. Modesitt
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Dorthae, hatte aber unbestreitbar eine gewisse Ausstrahlung.
    Sie setzte sich auch nicht, sondern stellte nur den Tornister neben Sammel auf die rechte Bank. Dann studierte sie die Porträts, die mir nicht bemerkenswert zu sein schienen, abgesehen davon, dass die Personen furchtbar ernst dreinschauten. Tamra hatte kein Auge für die Holzarbeiten, sondern verglich nur die beiden Bilder.
    Da Tamra mich – ebenso wie die übrigen – überhaupt nicht beachtete, trat ich an das linke Bild, um zu ergründen, warum sie es so betrachtenswert fand.
    Der Mann in dem Gemälde trug Schwarz, doch nicht das offizielle Gewand eines Meisters. Sein Haar war silbergolden, ähnlich wie das meines Vaters. Obwohl die beiden Männer sich nicht besonders ähnelten, spürte ich bei längerem Hinsehen eine gewisse Verwandtschaft. Doch schob ich diesen Gedanken beiseite und betrachtete die technischen Einzelheiten.
    Dann fiel mir eine dunkle Stange hinter der rechten Schulter der Figur auf. Höhe und Position zeigten an, dass es sich um eine Art Stab handelte. Aber im Gegensatz zu dem Gesicht des Mannes war der Hintergrund nicht deutlich gemalt.
    Ich schaute mich im Raum um. Tamra studierte das andere Porträt. Wrynn und Krystal unterhielten sich leise. Sammel und Myrten starrten zu Boden, und Dorthae saß mit geschlossenen Augen auf der Bank.
    Meine Augen kehrten zu dem Porträt zurück. Außer dem anderen Bild war es das einzige in der Halle, das irgendwelche Einzelheiten zeigte. Das musste etwas bedeuten – aber was? Ich schüttelte den Kopf. Ein weiteres Rätsel. Die Meister hatten mehr Rätsel als alle Hofnarren der Welt, und niemand wagte es, sie etwas zu fragen.
    Einen Moment lang glaubte ich, der Mann im Gemälde sei lebendig geworden und schaue mich an. Doch als ich mich auf das Porträt konzentrierte, war es so leblos wie immer. Detailgetreu, aber leblos.
    Ich sah Tamra an. Sie blickte mich an.
    Offenbar wollte sie sich das Porträts des Mannes anschauen. Ich nickte und trat beiseite.
    Wortlos kam sie herüber und stellte sich dorthin, wo ich gestanden hatte. Also ging ich zu der Stelle, wo sie gewesen war, und betrachtete das Frauenbild. Die Frau trug ebenfalls Schwarz, war jedoch nicht blond, sondern hatte braune Haare. Der Künstler hatte in ihren schwarzen Augen einen seltsamen Schimmer hervorgezaubert. Ja, das einzige Schwarze, das in diesem Bild lebte, waren ihre Augen.
    Ich war kein Maler, hatte jedoch den Eindruck, dass beide Porträts von derselben Hand stammten. Es musste eine schwierige Arbeit gewesen sein, eine Reihe von Meistern zu malen, wenn man wusste, dass sie die Menschen waren, die in Recluce herrschten.
    Ich hatte genug und wendete den Blick vom Gemälde ab. Wrynn und Krystal waren in Schweigen versunken. Tamra musterte mich mit einem seltsamen Ausdruck.
    »Nachdenklich?« fragte ich unwillkürlich.
    Sie lächelte und schüttelte den Kopf. Ihre Miene war so wissend, dass ich sie am liebsten mit dem Stab verprügelt hätte – doch dieser lehnte in der Ecke. Außerdem hatte ich keinen Grund. Ich wusste nur, dass ich es gern getan hätte.
    »Vorsicht, Lerris«, ertönte eine tiefe Stimme.
    Ich zuckte zusammen. Alle anderen auch, sogar Tamra.
    Es störte mich, dass der Mann ungesehen eingetreten war. Seine Stimme war kräftiger, als man bei seiner Statur angenommen hätte. Er hatte silbriges Haar und breite Schultern, war jedoch einen guten Kopf kleiner als ich. In Recluce war ich nur einen halben Kopf größer als der Durchschnitt, aber ein bisschen breiter in der Brust und den Schultern.
    Er trug eine Tunika und ein Hose in Silbergrau. Sogar die Stiefel waren silbergrau.
    »Nicht schwarz?«
    Tamra schüttelte bei meiner Frage den Kopf. Alle anderen sagten nichts, sondern starrten nur vor sich hin.
    »Du wirst auf die eine oder andere Weise lernen, dass Schwarz ein Zustand der Gedanken ist, Lerris.« Er verneigte sich vor mir, dann vor Tamra und schließlich vor den anderen. »Ich bin Talryn und euer Führer in Nylan und für die ersten Tage eures Aufenthalts hier.« Er zeigte auf die Tür zwischen den beiden Bänken. Dann berührte er sie, und die Tür schwang auf. Ich sah dahinter einen lichtdurchfluteten Raum. »Nehmt eure Sachen und folgt mir. Wir beginnen mit einem Mahl.«
    Talryn ging durch die Tür.
    Ich nahm Stab und Tornister und nickte Tamra zu. Sie neigte ebenfalls den Kopf, wartete jedoch noch.
    Schließlich folgte ich Talryn und hörte Tamras Absätze hinter mir klappern. Die anderen kamen

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