Magnus Jonson 01 - Fluch
noch finden. Wie ich gehört habe, hast du sehr zur Aufklärung des Falls beigetragen.«
»Wo hast du das gehört? Doch nicht von Baldur, oder?«
»Nein. Von Þorkell.«
»Er kann nicht sehr zufrieden damit sein, dass auf seinen Neffen geschossen wurde.«
»Ist er auch nicht. Aber er gibt nicht dir die Schuld. Und wenn er mich für verantwortlich hält, so sagt er es nicht.«
»Was ist mit Baldur? Er wäre auf jeden Fall begeistert, wenn ich zurück in die Staaten ginge und niemals wiederkäme.«
»Überlass Baldur ruhig mir.«
»Ich weiß nicht«, sagte Magnus. Er war davon ausgegangen, dass er innerhalb weniger Tage Island den Rücken kehren würde. Under hatte sich eingebildet, mit der Lage der Dinge sehr zufrieden zu sein.
»Du kommst zurück«, sagte der Polizeichef und stand auf. »Du hast eine moralische Verpflichtung. Das ist mir wichtig, und ich glaube, dir auch.«
Magnus sah dem Polizeichef nach, und zwei Gedanken beherrschten seinen Kopf.
Der erste war sehr beharrlich: Sollte er tatsächlich in Island bleiben?
Der zweite hielt sich eher im Hintergrund und nagte an ihm; Magnus war nicht so überzeugt wie der Polizeichef, dass der Fall wirklich gelöst war.
Zehn Minuten später kam Baldur in den Raum.
»Was machst du denn hier?«, knurrte er, als er Magnus erblickte.
»Ich arbeite hier. Zumindest im Moment.«
»Wir brauchen keine Zuschauer. Hast du deine Aussage abgegeben?«
»Gestern Abend schon.«
»Dann geh nach Hause und bleib da, damit wir dich erreichen können, falls wir dich zur Unterstützung brauchen.«
»Habt ihr Pastor Hákon gefunden?«, wollte Magnus wissen. »Noch nicht. Aber wir finden ihn. Er kann das Land nicht verlassen.«
»Habt ihr in Stöng geguckt? Und auf Álfabrekka?«
»Warum sollten wir?«
»Wir wissen, dass der Ring einen gewaltigen Einfluss auf Hákon hat. Er ist ein seltsamer Typ, auf gewisse Weise ein Romantiker. Wohin würde er fliehen? Ihr beschattet bestimmt alle naheliegenden Orte, die Flughäfen, seine Verwandten, falls er welche hat. Aber es könnte sein, dass er an einen Ort fährt, der für den Ring wichtig ist. Zum Beispiel Stöng. Oder die Höhle, wo der Ring gefundenwurde. Ich glaube, ich habe die Landkarte noch im Auto, die Dr. Ásgrím angefertigt hat.«
Baldur schüttelte lediglich den Kopf. »Wenn du glaubst, dass ich meine knappen Ressourcen mitten ins Nichts schicke, um deinen bescheuerten Hirngespinsten nachzugehen, dann ...« Frustriert verstummte er. »Vergiss es. Geh nach Hause.«
Aber Magnus ging nicht nach Hause. Er lieh sich einen Wagen und fuhr zu Gauks verlassenem Hof nach Stöng. Je weiter er nach Osten kam, desto schlechter wurde das Wetter. Eine feuchte graue Wolke hatte sich über Island gelegt, und Magnus fuhr mitten hindurch. Selbst als er aus den Lavafeldern herunterkam in die weite Ebene um Selfoss, konnte er kaum etwas sehen. Auf durchweichten Feldern schauten Pferde trübsinnig in Richtung Straße. Ab und zu tauchte eine Kirche oder ein Bauernhof auf einem kleinen Hügel im Nebel auf.
Von Hekla war gar nichts zu sehen, nicht einmal als Magnus die Straße nahm, die am Ufer der Þjórsá entlangführte.
Magnus hatte keine Vorstellung, ob er in Stöng oder Álfabrekka wirklich etwas finden würde. Aber er wollte auf gar keinen Fall in Reykjavík herumhängen und nichts tun. Er hatte versucht, sich in den sonderbaren Pastor hineinzuversetzen. Das war schwierig, Magnus konnte nicht behaupten, den Mann zu verstehen, aber er fand, für eine Ahnung war seine gar nicht schlecht.
Er dachte über die Bitte des Polizeichefs nach, in Island zu bleiben. Eigentlich war es eher ein Befehl gewesen.
Magnus ging davon aus, dass er Williams überzeugen könnte, in Boston bleiben zu dürfen, wenn er erst einmal heimgekehrt wäre. Doch der Appell des Polizeichefs an Magnus’ Ehrgefühl war klug gewesen. Die isländische Polizei hatte ihm eine Zuflucht geboten. Einer der Kollegen hatte fast sein Leben gegeben, um Magnus zu retten. Der Polizeichef hatte recht; er schuldete ihnen etwas.
Bei seinem Eintreffen in Island hatte Magnus als Erstes denImpuls verspürt, auf die brutalen Straßen Bostons zurückzukehren. Aber vielleicht hatte Colby doch recht: Was war das überhaupt für ein Leben? Einen Mord aufklären, auf den nächsten warten. Eine endlose, verzweifelte Suche nach dem, was er war, nach dem Sinn seiner Vergangenheit, des Mordes an seinem Vater, nach dem Sinn seiner selbst.
Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass die
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