Magnus Jonson 02 - Wut
worden war.
Doch wo er normalerweise ein aufregendes Hochgefühl verspürte, wenn alle Puzzleteilchen ihren Platz fanden, wurde ihm nun plötzlich kalt. Sein Hals wurde trocken, und als er sprach, kam kaum mehr als ein Krächzen heraus.
»Das ist die Frage.«
Unnur merkte, dass etwas nicht stimmte. Sie musterte ihn aufmerksam. »Was ist die Frage?«
»Ob mein Großvater in irgendeiner Weise dafür verantwortlich ist.«
Unnur runzelte kurz die Stirn, dann lächelte sie.
Das brachte Magnus aus dem Konzept. »Was ist daran so komisch?«
»Das kann unmöglich sein«, sagte Unnur. »Ich meine, er ist ganz bestimmt ein böser alter Mann, und deine Mutter stand ganz furchtbar unter seiner Fuchtel. Er konnte Ragnar wirklich nicht ausstehen. Aber das ist der entscheidende Punkt. Er war ja froh, dass Ragnar in die Staaten ging und Margrét hier zurückließ. Genau das hatte er die ganze Zeit gewollt.«
»Wie meinst du das?«
»Na, am Anfang fand Margrét die Sache mit dem MIT total gut. Sie hatte schon immer im Ausland leben wollen, und das war die große Gelegenheit für die beiden.«
»Sie wollte meinen Vater also begleiten?«
»Auf jeden Fall. Aber als sie es ihren Eltern erzählte, drehten sie durch, beide. Warum genau, weiß ich nicht, sie bauschten es unglaublich auf. Hallgrím verlangte, dass Margrét in Island blieb, aber sie wollte unbedingt mit Ragnar fort. Es wurde zu einer Machtfrage. Margréts Eltern kämpften mit allen ihnen zur Verfügung
stehenden psychologischen Waffen. Redeten ihr Schuldgefühle ein, brachen den Kontakt zu ihr ab, solche Sachen. Sie waren unangenehme Gegner.«
»Ich kann mich erinnern«, sagte Magnus.
»Zuerst hielt Margrét dagegen. Aber es fraß sie innerlich auf. Sie trank immer mehr. Sie stritt sich mit Ragnar, sie wurde einfach total unvernünftig. Und am Ende änderte sie ihre Meinung. Ragnar sollte allein gehen, sie würde mit dir und Óli in Island bleiben.
Ragnar war stocksauer. Das war die Zeit, als … nun ja … als das zwischen ihm und mir geschah.«
Unnur überlegte. Seufzte.
»Als Margrét das mit der Affäre erfuhr, waren ihre Eltern vor Glück aus dem Häuschen. Ragnar hatte verloren, sie hatten gewonnen, ihre Tochter und ihre Enkel blieben im Land.«
»Verstehe«, sagte Magnus. Doch den Gedanken, dass sein Großvater möglicherweise für den Mord an seinem Vater verantwortlich war, konnte er, einmal ausgesprochen, nicht so einfach abschütteln. »Ich habe die Geschichte von meiner Cousine ein klein wenig anders gehört. Sie sagte, meine Mutter hätte wegen der Affäre angefangen zu trinken. Was zu ihrem Tod führte.«
»Das stimmt nicht«, widersprach Unnur. »Wie gesagt, sie hatte schon vorher mehrere Monate lang viel getrunken. Das ist zumindest die Geschichte, wie Hallgrím sie erzählt hat. Er würde ja wohl kaum zugeben, dass er selbst seine Tochter in den Suff getrieben hat, oder?«
»Nein«, sagte Magnus. »Aber glaubst du nicht, dass mein Großvater später, als meine Mutter tot war, und besonders, als mein Vater uns ihm wieder wegnahm, vielleicht Rache schwor?«
»Möglich. Ich meine, er mochte deinen Vater ganz bestimmt nicht. Aber ich habe den Eindruck, dass es viele Menschen gibt, die dein Großvater nicht mag. Und ich glaube nicht, dass er die alle umbringt.« Unnur legte die Stirn in Falten und dachte nach. »Und warum so lange warten? Ich meine, das war zehn Jahre nach dem Tod deiner Mutter, oder?«
»Acht«, sagte Magnus. »Ja, das ist ein gutes Argument. Ich weiß es nicht. Aber ich kann mir vorstellen, dass er dazu fähig ist.«
»Das stimmt.«
Unnur dachte nach, als überlegte sie, ob sie noch mehr sagen sollte. Magnus spürte es. Er wartete. Schließlich entschloss sie sich zu sprechen. »Wusstest du, dass Hallgríms Vater jemanden umgebracht hat?«
»Was?! Davon habe ich noch nie etwas gehört.«
»Natürlich nicht. Seinen Nachbarn auf Hraun. Jóhannes.«
»Woher weißt du das?«
Unnur stand auf und suchte die Bücherregale ab. Sie zog ein altes Taschenbuch hervor, das sie Magnus reichte. Das Moor und der Mann von Benedikt Jóhannesson.
»Was ist das?«
»Lies das dritte Kapitel.« Draußen hörte man das Geräusch eines parkenden Autos. »Du gehst jetzt besser, das ist mein Mann.«
Magnus versuchte immer noch zu verarbeiten, was er gerade gehört hatte. Hilflos schaute er auf das Buch in seiner Hand. Noch ein Mord in seiner Familie?
»Magnús?«
»Ist gut, ich gehe«, sagte er. »Danke für den Kaffee. Und dass du so
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