Magnus Jonson 02 - Wut
zögerte. »Gut. Ich hatte mich immer schon zu ihm hingezogen gefühlt, seit ich ihn das erste Mal sah. Hatte mir immer gewünscht, er hätte sich für mich interessiert. Es war ein Fehler, ein großer Fehler. Auch von ihm. Dafür gibt es keine Entschuldigung.« Sie sah Magnus in die Augen. »Ich werde mich ganz bestimmt nicht entschuldigen, schon gar nicht bei dir.«
»Danke, dass du es mir trotzdem erzählst«, sagte Magnus. In
seinem Kopf jagten sich quälende Gedanken, über seinen Vater, seine Mutter, über die Frau ihm gegenüber. Doch er wollte die Wahrheit erfahren, deshalb unterdrückte er diese Gefühle, zumindest fürs Erste.
»Irgendwann schöpfte Margrét Verdacht. Dein Vater meinte, es sei das Beste, ehrlich zu sein und alles zuzugeben. Ich hielt das für eine wirklich schlechte Idee, aber er hörte nicht auf mich.« Unnur schüttelte den Kopf. »Also erzählte er es ihr. Das gab ihr den Rest, was das Trinken anging. Sie warf Ragnar raus. Er ließ mich sitzen und ging allein nach Amerika. Die ganze Sache war furchtbar.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Margrét wollte nichts mehr mit mir zu tun haben, kein Wunder. Ich habe sie nie wieder gesehen. Natürlich hörte ich von ihr, dass sie trank, dass ihre Eltern sich um dich und Óli kümmerten … und schließlich von ihrem Tod.«
Magnus schluckte. Er wusste, dass seine Mutter eine halbe Flasche Wodka getrunken hatte und anschließend gegen einen Felsen gefahren war. »War das Selbstmord? Was meinst du?« Diese Frage hatte er sich schon unzählige Male gestellt.
»Ich glaube es«, sagte Unnur. »Aber ich weiß es wirklich nicht. Das ist nur meine Meinung. Deine Großeltern schwören, dass sie den Unfall nicht mit Absicht verursachte. Die Gerüchteküche in Stykkishólmur behauptete das Gegenteil. Aber niemand weiß es genau. Wenn man so betrunken ist, weiß man ohnehin nicht mehr, was man tut, oder?«
»Nein«, sagte Magnus. »Weiß man nicht.«
Eine Weile saßen sie schweigend da. »Und mein Vater?«, fragte er. »Wie war er so?«
»Ein toller Mann«, sagte Unnur. »Freundlich. Rücksichtsvoll. Sehr klug. Sehr gutaussehend.«
Der Gedanke, den Magnus bisher erfolgreich unterdrückt hatte, drängte sich auf seine Zunge. »So ein toller Mann wohl doch nicht, wenn er mit der besten Freundin seiner Frau fremdging.«
Unnur erstarrte. »Nein«, sagte sie kühl. »Das stimmt.« Sie sah Magnus in die Augen. »Vielleicht gehst du jetzt besser. Du hast recht, es ist unangenehm für uns beide.«
»Tut mir leid«, sagte Magnus und bemühte sich, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. »Ich habe ihn ja auch für einen eindrucksvollen Mann gehalten, bis ich erfuhr, was er meiner Mutter angetan hat. Aber ich weiß zu schätzen, dass du es mir erzählt hast.«
Unnur zögerte. »Das muss hart für dich sein«, sagte sie. »Und es war wirklich nicht gerade toll, was wir damals getan haben.«
»Wie ging es bei dir weiter?«
»Ich lernte in Reykjavík einen Arzt kennen. Wir heirateten, bekamen Kinder. Ich zog wieder hierher, um zu unterrichten, und er arbeitet im Krankenhaus. Mir geht es gut. Nein, besser noch: Ich bin glücklich.«
»Anders als meine Eltern.«
»Anders als deine Eltern«, bestätigte Unnur. »Es ist einfach nicht gerecht, oder? Ich meine, ich habe das Ganze immerhin ausgelöst. Ich habe die beiden sehr liebevoll in Erinnerung, ehe alles zu Bruch ging. Ehe ich diesen Fehler machte.«
Magnus schwieg dazu. Egal, was er fühlte — wer war er, jemandem die Schuld zuzusprechen? Doch Unnurs Schuldgefühle schienen ihm gerechtfertigt. Er hatte nicht vor, sie davon zu befreien.
»Ich habe das mit Ragnar natürlich gehört«, sagte sie. »Kam je heraus, wer es war?«
»Nein«, sagte Magnus. »Man nimmt an, irgendein Fremder sei in die Stadt gefahren, hätte meinen Vater erschossen und sei dann spurlos verschwunden.«
»So was kann in Amerika anscheinend vorkommen«, bemerkte Unnur.
»Eigentlich nicht«, sagte Magnus. »Ich habe dann bei der Polizei angefangen, bei der Mordkommission. Normalerweise gibt es einen Grund, wenn jemand umgebracht wird. Vielleicht einen dummen Grund, aber es gibt einen.«
»Nur in diesem Fall nicht.«
Auf einmal drängte sich der Argwohn an die Oberfläche, der tief in Magnus’ Bewusstsein gebrodelt hatte, seit er erstmals von der Untreue seines Vaters gehört hatte. Er konnte die Verbindungen nicht ignorieren, die sein Polizeihirn erstellte, konnte ihm nicht befehlen, mit dem aufzuhören, wozu es ausgebildet
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