Magnus Jonson 02 - Wut
fahren wir! Mal sehen, ob ich es schaffe, das Gebäck nicht anzurühren, ehe wir am Strand sind.«
Auf der langen Rückfahrt nach Reykjavík dachte Magnus über das nach, was er von Unnur erfahren hatte. Sie hatte ihm recht überzeugend versichert, dass sein Großvater wirklich froh gewesen war, als Ragnar die Affäre mit ihr zugab. Dennoch bestand kein Zweifel, dass Hallgrím eine große Abneigung gegen Ragnar hegte.
War es tatsächlich möglich, dass sein Großvater für den Tod seines Vaters verantwortlich war?
Als Ragnar in Duxbury erstochen wurde, musste Hallgrím Ende sechzig gewesen sein. Magnus wusste, dass er in dem Alter noch auf dem Hof gearbeitet hatte. Er wäre gesund und kräftig genug gewesen, um Ragnar zu erstechen. Besonders von hinten. Der Bericht
der Rechtsmedizin war Magnus ins Gehirn gebrannt. Die erste Stichverletzung erfolgte in den Rücken, die folgenden zwei in die Brust, nachdem Ragnar hingefallen war. Das und die fehlenden Hinweise auf einen Einbruch hatten nahegelegt, dass sich Ragnar nicht von der Person bedroht fühlte, die ihn an jenem Tag aufgesucht hatte. Das bedeutete auch, dass der Mörder nicht sehr groß und kräftig sein musste – er hatte Ragnar ja nicht überwältigen müssen.
Von hinten erstochen. Ja, Magnus konnte sich vorstellen, wie Hallgrím jemandem in den Rücken stach.
Doch war Hallgrím zu jener Zeit in Amerika gewesen? Magnus hatte diese Frage noch nie untersucht. Sein Großvater schien untrennbar mit Bjarnarhöfn verbunden, ein Teil der Erde dort. Magnus konnte sich schlecht vorstellen, dass er bis nach Reykjavík fuhr, von Boston ganz zu schweigen. Als er nach dem Tod seines Vaters Island besucht hatte, war keine Reise nach Amerika erwähnt worden. Diesen Punkt musste er klären. Er wusste, dass die amerikanische Einwanderungsbehörde seit 2001 einen Nachweis über jede Person führte, die ins Land kam. Doch Ragnar war 1996 umgebracht worden.
Es müsste eine Möglichkeit geben, das herauszufinden.
Dennoch fühlte es sich nicht richtig an. Magnus wusste, dass Hallgrím ein grausamer, rachsüchtiger Mann war. Er konnte sich vorstellen, welche Freude der alte Mann empfunden haben musste, als Ragnars Affäre ans Licht kam, auch wenn das seine Tochter verletzte. Magnus’ Vater hatte scheußliche Auseinandersetzungen mit dem Großvater gehabt, als er nach Island zurückkehrte, um seine Söhne nach Amerika zu holen. Für Magnus war es durchaus vorstellbar, dass Hallgrím seinen Schwiegersohn in der Hitze des Gefechts tötete.
Aber acht Jahre später? Das kam ihm seltsam vor.
Entscheidend wäre es herauszufinden, ob Hallgrím zu jener Zeit in den Staaten gewesen war. Wenn ja, wäre das ein ziemlich überzeugendes Indiz.
Dennoch hatte Magnus das Gefühl, in eine weitere Sackgasse zu laufen. Eine Sackgasse, an deren Ende sein Großvater stand.
Je weiter er nach Süden fuhr, desto besser wurde seine Laune. Im Westen ging die Sonne unter, brachte die silberne Weite des Atlantiks zum Glänzen. Die Berghänge glühten. Als Magnus aus dem Tunnel unter dem Hvalfjörður hervorkam, klingelte sein Telefon. Vor ihm erhob sich Esja.
»Magnus?«
»Ja?«
»Hier ist Sharon Piper.«
Magnus hörte die Aufregung in ihrer Stimme.
»Hi, Sharon, bist du gut zurückgekommen?«
»Bin direkt zur Dienststelle gefahren. Ich habe noch mal die Befragungsprotokolle durchgesehen. Weißt du noch, dass Óskar eine venezuelanische Freundin hatte, Claudia Pamplona-Rodríguez?«
»Ja.«
»Als sie befragt wurde, erzählte sie von einer Frau, die im Sommer zum Haus in Kensington gekommen war. Es muss irgendwann im Juli gewesen sein. Eine Isländerin. Sie wollte mit Óskar unter vier Augen sprechen, sie gingen ins Wohnzimmer und schlossen die Tür. Es dauerte nur eine gute Viertelstunde. Als die Frau herauskam, sah sie wütend aus und verschwand. Óskar schien sich nichts draus zu machen.«
»Lass mich raten! Die Frau war groß und schlank und hatte dunkle Locken?«
»Du sagst es. Mitte dreißig. Ganz attraktiv. Beziehungsweise attraktiv genug, um Claudia misstrauisch zu machen.«
»Du hast nicht zufälligerweise ein Bild von Harpa, oder?«
»Nein, aber wenn du mir eins schickst, kann ich sie von Claudia identifizieren lassen.«
17
Harpa saß im Vernehmungszimmer und wirkte nervös. Mit einer Hand zupfte und drehte sie an ihren Locken.
Magnus hatte Vigdís angerufen, die noch im Dienst war, und sie gebeten, Harpa zu holen und ein Foto von ihr zu machen. Es war bereits per E-Mail an
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