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Magyria 01 - Das Herz des Schattens

Titel: Magyria 01 - Das Herz des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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tun, deshalb schwieg er lieber.
    Sie fuhren kreuz und quer durch die Stadt. Dann wartete Kunun an einer Ampel auf Grün, vor einer schmalen, von einem hohen Stahlgeflecht flankierten Brücke. Sie führte
nicht über die gesamte Breite der Donau, es war nur ein kurzer, einspuriger Übergang.
    »Was soll das sein?«, fragte Mattim, als sie der mit Schienen durchzogenen Straße folgten, an winterlich kahlen Bäumen vorbei, und Kunun schließlich ein Verbotsschild ignorierte und auf einen breiten Sandweg einbog. »Eine einsame Insel?« Durch die Bäume erblickte er die Donau, stahlgrau. Lichtfunken tanzten über die Wasseroberfläche und schienen von Welle zu Welle zu springen.
    Neben ihnen hielt der BMW. Zwei Spaziergängerinnen mit großen braunen Hunden schlenderten vorbei, die Hände in den Taschen vergraben, das Gesicht gegen den schneidenden Wind gesenkt. Eine einsame Insel. Nur ein paar Menschen, die ihre Hunde ausführten. Keine Touristen. Niemand, der sich für das, was sie taten, interessieren würde.
    »Du willst mich umbringen?«, fragte Mattim und wunderte sich gleichzeitig, wie ruhig er blieb.
    »Steig aus«, befahl Kunun.
    Fast erwartete der junge Prinz, sein Bruder würde ihm den Arm um die Schultern legen und ihn zum Wasser geleiten, so wie er den anderen Vampir zur Hinrichtung geführt hatte.
    Aber Kunun fasste ihn nicht an. Er ging neben ihm her, auf einem weichen Waldweg, vom Wasser nur durch einen schmalen Streifen struppiger Bäume getrennt. Mattim drehte sich um und stellte fest, dass auch die anderen ausgestiegen waren. Hanna stand neben Atschorek und wirkte klein und verloren auf dem großen, leeren Gelände. Fern und blass erhob sich über ihnen die Silhouette der Hügel von Buda.
    »Ich oder sie?«, fragte Mattim leise. »Könntest du das wirklich tun?«
    »Dieser Fluss und jener Fluss«, sagte Kunun, als hätte er ihn nicht gehört. »Manchmal frage ich mich, wie sie miteinander
verbunden sind. Ist es das Licht aus Akink, das bis in die Donau hinein leuchtet? Ist sie deshalb genauso gefährlich wie der Donua? Als wären sie beide eins. Als wären die beiden Städte eins. Aber das sind sie nicht. Du und ich kennen den Unterschied. In Budapest zu leben, das ist niemals dasselbe, wie in Akink zu herrschen. Komm, hier entlang.« Sie gingen die Stufen zu einem Anlegesteg hinunter. Ein Bretterweg führte auf eine kleine Plattform. Das Geländer schützte nur die Seiten; vor ihnen lag offen der Fluss.
    Eine Plattform auf dem Wasser. Sie konnten nicht dort hingehen, es war unmöglich. Mattim warf Kunun einen Blick zu, doch das verschlossene Gesicht seines Bruders verriet nichts. Der Prinz wartete darauf, dass das Brennen begann, dass er den Tod spürte, unter seinen Füßen. Wider Erwarten fühlte er nichts, als er neben Kunun an die äußerste Kante des Bootsanlegers trat.
    »Mattim!«, schrie Hanna irgendwo hinter ihm. »Mattim!«
    Er drehte sich um; ein letztes, ein allerletztes Mal wollte er sie sehen. Atschorek und die drei Schatten waren nötig, um das Mädchen dort oben am Waldweg festzuhalten, während es verzweifelt versuchte, sie abzuschütteln.
    »Mattim, nein!«
    Der Junge sah ins Wasser hinunter. Die Sonne füllte es mit Licht, gleißend, glitzernd, verlockend. Sie spielte in den tanzenden Eisschollen. Ein Fluss, trunken von Licht. Auf der anderen Seite nichts als eine Reihe großer grauer Wohnblocks. Der großen Árpádbrücke, die von hier zu sehen war, fehlte die Ausstrahlung der Kettenbrücke mit den steinernen Löwen. Sehnsucht stieg in ihm auf, nach Akink, nach dem König, über dessen Haupt das Leuchten begann, jeden Morgen neu. Nach der Königin, die sich über ihn beugte. Mein Sohn, wach auf, dein Dienst … Er sehnte sich nach dem Fluss, dem anderen Fluss, von dessen Grund ein
Leuchten hochstieg, der das Licht der Stadt spiegelte und in sich aufnahm und aufbewahrte, Jahr um Jahr …
    Er wollte nicht sterben. Wenigstens einmal wollte er nach Akink zurück, wenigstens einmal wollte er die Burg sehen, die sich über die Mauer erhob, und den Ruf des Nachtwächters in den Straßen hören, und verfolgen, wie die Brückenwache ihre Runde drehte, so langsam, dass man fast dabei einschlief, und mit den Kameraden von der Nachtwache Patrouille gehen, und dabei die Wölfe heulen hören, nah, so nah …
    »Ich will nicht«, brachte er heraus.
    »Das Blut der Menschen«, sagte Kunun leise, »schützt uns vor dem Licht. Wir können in der Sonne leben, ohne Furcht. Doch das Licht, das der Fluss

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