Magyria 02 - Die Seele des Schattens
kleineren Wölfe scharte. Sie konnte nur einmal aufschluchzen, da war er auch schon über ihr und öffnete das Maul, das endlos viele spitze Zähne beherbergte.
»Bela, was hast du da?«
Der Wolf biss nicht zu, sondern wandte sich um.
Es war Mattim. Mattim, dessen kühler, fremder Blick sich in ein verwundertes Lächeln verwandelte, als er sie erkannte. »Mirita?«
Sofort war er bei ihr, stieß den Wolf zur Seite und half ihr hoch. Mirita schüttelte seine Hand ab und wich zurück. Krampfhaft unterdrückte sie das Schluchzen, das wieder in ihrer Kehle aufstieg und sie dazu bringen wollte, sich weinend in seine Arme zu werfen.
Ihr war sehr wohl bewusst, dass er nicht mehr der Kamerad war, mit dem sie im Dienst Freud und Leid geteilt hatte, der Prinz, der sie in ihrer Wohnung besucht hatte, der Junge, den sie so schrecklich liebte, dass ihr Herz zerbrach, als er auf die dunkle Seite gegangen war.
Nur ein kleiner Funken Licht könnte genügen … Oh, vergiss es! Dies ist kein Spiel und auch kein Traum.
Nur ein Feind. Nur einer, der die Mittel der Täuschung am eigenen Leib trug. Dieses Gesicht, diese Augen, so warm und vertraut und doch nichts als die Maske über der Fratze des Feindes. Sie hatte ihm wider besseres Wissen vertraut und sich täuschen lassen, genau wie König Farank, aber noch einmal würde ihr das nicht passieren.
»Sieh an, Mattim«, sagte sie möglichst gefasst, obwohl die Wölfe sie umkreisten, »mit dir hätte ich nicht gerechnet. Ist das dein Wolfsrudel?«
»Ohne meine Erlaubnis werden sie dir nichts tun«, versicherte Mattim. »Aber du solltest mich diesmal lieber nicht küssen.«
Als hätte er geahnt, dass sie noch von ganz anderen Dingen träumte. Der große Wolf schien es zu wissen; er musterte sie mit seinen unergründlichen Neumondaugen. Abwesend streichelte der Junge, den sie einmal so gut gekannt hatte, das lange schwarzgraue Fell, vielleicht ohne es selbst zu merken. Die beiden gehörten so eng zusammen, dass ihr schwindelte. Dabei wollte sie doch zu ihm gehören. Diese Verbindung musste zwischen ihnen bestehen … aber wie hätte sie das können? Das war nicht Mattim. Das war der Feind. Trotzdem wirbelten in Mirita Angst, Hoffnung und Freude durcheinander, und Gefühle meldeten sich, von denen sie geglaubt hatte, dass es ihr gelungen war, sie in den vergangenen Wochen zu begraben. Eins davon war der Zorn.
»Und, wirst du es ihnen erlauben?«, fragte sie. »Wirst du sie auf mich hetzen und zusehen? Was werde ich sein, ein Wolf oder ein Schatten, so wie du? Vielleicht bist du dann endlich zufrieden. Wenn wir alle in die Dunkelheit gezogen werden. Hat es dir nicht gereicht, uns so zu verhöhnen? Eine Pforte, ha, und wenn sie geschlossen ist, können wir die Schatten besiegen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie es war. Wie glücklich dein Vater war, als er verkündete, unsere Feinde seien geschwächt und könnten dem Licht nichts mehr entgegensetzen. Aber so war es nicht.« Sie funkelte ihn wütend an. »So war es nicht!«
Liebe machte nicht glücklich, überhaupt nicht. Und die Liebe zu einem Verräter erst recht nicht. Wenn sie nur daran hätte glauben können, dass dieser eine Funke noch da war, dieses Quäntchen Licht, das von der Liebe zu einem Brand angefacht werden konnte. Das genügte, das musste genügen …
»Warum erzähle ich dir das überhaupt? Du weißt es besser als ich.«
Er war nicht mehr der Junge mit dem feinen Gewissen, der immer versuchte, alles richtig zu machen. Dennoch beobachtete sie ihn aufmerksam, um zu sehen, wie er darauf reagierte, ob ihn die Vorwürfe trafen, ob in ihm noch irgendetwas da war von jenem geliebten Prinzen des Lichts.
Er machte sich nicht die Mühe, auf ihre Anklage zu antworten. Stattdessen betrachtete er sie mit einem intensiven Blick. Hatte er sie früher je so prüfend angesehen, so eindringlich? Der Mattim von damals war weitaus schüchterner gewesen. »Was tust du hier im Wald, ganz allein?«, verlangte er zu wissen. »Wo ist die Nachtpatrouille?«
»Sie sind alle tot oder verloren«, sagte sie, obwohl es vielleicht klüger gewesen wäre, ihn glauben zu lassen, dass ihre Leute in der Nähe waren und bald kommen würden. »Ich bin als Einzige übrig.« Sie war dankbar, dass Piet bei der Schicht nicht dabei gewesen war, sondern in dieser Woche Tagdienst hatte. Der König hatte verfügt, dass niemand ausschließlich nachts leben und arbeiten durfte. »Die Wölfe haben mich durch den Wald gehetzt, und ich habe die Nacht auf
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