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Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Titel: Maigret - 35 - Maigrets Memoiren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Arbeitsbewilligung besaßen, konnten sie ihren Lebensunterhalt unmöglich auf ehrbare Weise verdienen. Andererseits waren sie nicht verhungert. Ergo hatten sie genug zu essen.
    Tausende, Zehntausende waren und sind heute noch in der gleichen Lage.
    Schön, und dann findet man Geld in ihren Taschen oder auf einem Schrank versteckt, häufiger noch in ihren Schuhen. Und es gilt zu wissen, wie sie es sich beschafft haben. Und das wiederum bedeutet: fragen, verhören bis zur Erschöpfung.
    Selbst wenn sie Französisch verstehen, stellen sie sich taub, blicken einem treuherzig in die Augen, beteuern unermüdlich ihre Unschuld.
    Ihre Kameraden über sie auszufragen, wäre völlig nutzlos. Sie werden einander nicht verraten. Sie werden uns alle die gleiche Geschichte auftischen.
    Rund fünfundsechzig Prozent aller in Paris und Umgebung begangenen Verbrechen gehen nun aber auf das Konto von Ausländern.
    Treppen, Treppen und nochmals Treppen. Nicht nur nachts, auch am Tag, und überall Straßenmädchen, professionelle und andere, zum Teil junge und prachtvolle Geschöpfe vom Land, die es nach Paris verschlagen hat, der Himmel mag wissen warum.
    Eine habe ich gekannt, eine Polin, die teilte mit fünf Männern ein Hotelzimmer an der Rue Saint-Antoine. Sie stiftete sie zu üblen Taten an und belohnte die Erfolgreichen auf ihre Weise, während die anderen zähneknirschend im Zimmer hockten und dann meist wie wilde Tiere über den erschöpften Gewinner herfielen.
    Zwei von ihnen waren wahre Kolosse, doch sie fürchtete sich nicht vor ihnen, sie hielt sie mit einem Lächeln, einem Stirnrunzeln in Schach. Ich habe die Bande in meinem Büro verhört und, nachdem ein Satz in ihrer Sprache gefallen war, mit eigenen Augen gesehen, wie das Mädchen einen der Riesen seelenruhig ohrfeigte.
    »Sie kriegen wohl allerhand zu sehen, wie?«
    Allerhand, ja. Männer, Frauen, alle Arten von Männern und Frauen, in allen möglichen Situationen, auf allen Sprossen der Leiter. Wir sehen sie, wir machen uns unsere Gedanken und versuchen zu verstehen.
    Das will nicht besagen, daß wir irgendwelche unbestimmten menschlichen Geheimnisse zu ergründen suchen. Ja vielleicht ist es gerade diese romantische Vorstellung, gegen die ich mich so erbittert, beinahe wütend wehre. Es ist einer der Gründe dieses Buches, dieser Art, die Dinge richtigzustellen.
    Simenon hat es zu erklären versucht, das muß ich ihm zugestehen. Dennoch habe ich es oft als peinlich empfunden, mich in seinen Büchern so lächeln oder reagieren zu sehen, wie es nie meine Art gewesen ist und wie es von meinen Kollegen mit einem verständnislosen Achselzucken quittiert worden wäre.
    Ich glaube, der Mensch, der das alles am besten gespürt hat, ist meine Frau. Dennoch stellt sie mir, wenn ich nach Hause komme, nie aus purer Neugier Fragen, welcher Fall auch immer mich beschäftigen mag.
    Andererseits mache ich ihr auch keine sogenannten vertraulichen Mitteilungen.
    Ich setze mich zu Tisch wie jeder andere Beamte am Feierabend. Manchmal erzähle ich in knappen Worten, wie im Selbstgespräch, von einer Begegnung, einem Verhör, einem Mann oder einer Frau, über die ich habe ermitteln müssen.
    Wenn sie eine Frage stellt, dann ist es fast immer eine technische.
    »In welchem Quartier?«
    Oder:
    »Wie alt?«
    Oder:
    »Seit wann lebt sie in Frankreich?«
    Weil solche Einzelheiten für sie ebenso aufschlußreich geworden sind wie für uns.
    Über die häßlichen oder erbärmlichen Begleitumstände fragt sie mich nie aus.
    Und das hat bei ihr weiß Gott nichts mit Gleichgültigkeit zu tun.
    »Hat seine Frau ihn im Untersuchungsgefängnis besucht?«
    »Heute früh.«
    »Mit dem Kind?«
    Aus Gründen, die zu erklären ich nicht für nötig halte, interessiert sie sich hauptsächlich für Leute, die Kinder haben, und es wäre ein Irrtum zu glauben, Bösewichte oder Verbrecher hätten keine.
    Wir haben einmal eines bei uns aufgenommen, ein kleines Mädchen, dessen Mutter ich für den Rest ihres Lebens ins Gefängnis schickte; wir wußten aber, daß der Vater es zu sich nehmen würde, sobald er wieder ein normaler Mensch geworden war.
    Das Mädchen besucht uns immer noch von Zeit zu Zeit. Es ist jetzt erwachsen, und meine Frau läßt sich stolz von ihm begleiten, wenn sie am Nachmittag ihre Runde durch die Warenhäuser macht.
    Was ich klarstellen möchte, ist, daß sich in unsere Reaktion auf die Personen, mit denen wir uns befassen, weder Empfindlichkeit noch Härte, weder Haß noch Mitleid im

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