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Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Titel: Maigret - 35 - Maigrets Memoiren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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üblichen Sinn mischen.
    Wir befassen uns mit Menschen. Wir beobachten ihr Verhalten. Wir registrieren Tatsachen und versuchen immer noch mehr Tatsachen festzustellen.
    Unsere Kenntnisse sind sozusagen technischer Natur.
    Wenn ich jeweils als junger Polizeibeamter ein zweifelhaftes Hotel vom Keller bis zum Dach durchsuchte, in die Bienenwaben von Zimmern eindrang, die Menschen im Schlaf, in ihrer äußersten Intimität überraschte und ihre Papiere kontrollierte, hätte ich beinahe voraussagen können, was aus jedem werden würde.
    Erstens waren mir gewisse Gesichter schon vertraut, denn Paris ist nicht so groß, daß man in diesem oder jenem Milieu nicht fortwährend den gleichen Leuten begegnete.
    Es gibt auch Fälle, die einander fast aufs Haar gleichen, weil bekanntlich die gleichen Ursachen zu den gleichen Wirkungen führen.
    Der unglückliche Osteuropäer, der während Monaten, wenn nicht Jahren gespart hat, um sich durch einen einheimischen Agenten falsche Pässe zu besorgen, und der glaubt, er habe es geschafft, wenn er die Grenze ungehindert passiert hat, wird uns schon in den ersten sechs bis zwölf Monaten unweigerlich in die Hände fallen.
    Mehr. Wir könnten ihm in Gedanken von der Grenze an folgen, könnten voraussehen, in welchem Quartier, welchem Restaurant, welchem Hotel er landen wird.
    Wir wissen, durch wen er sich die unerläßliche Arbeitsbewilligung zu beschaffen versuchen wird, eine echte oder eine falsche; wir brauchen nur hinzugehen und ihn aus der Schlange zu holen, die sich jeden Morgen vor den großen Javel-Werken bildet.
    Wozu uns ärgern, wozu es ihm übelnehmen, wenn er an dem Punkt angelangt ist, wo er unweigerlich anlangen mußte?
    So verhält es sich auch mit dem kleinen, noch taufrischen Mädchen vom Land, das wir in einem Bumslokal zum erstenmal tanzen sehen. Ihm sagen, es soll zu seiner Herrschaft zurückkehren und seinem allzu elegant gekleideten Begleiter inskünftig besser aus dem Weg gehen?
    Es würde nichts nützen. Die Junge wird wiederkommen. Wir werden ihr in anderen Bumslokalen wiederbegegnen und sie eines schönen Abends vor einer Hoteltür im Hallen- oder Bastille-Quartier stehen sehen.
    Jedes Jahr gehen im Durchschnitt zehntausend Mädchen diesen Weg, zehntausend verlassen ihre Dörfer, kommen als Dienstmägde nach Paris und tauchen nach wenigen Monaten oder Wochen unter.
    Und ist das vielleicht etwas anderes, als wenn ein Junge von achtzehn oder zwanzig Jahren eines Tages, nachdem er soundso lange in der Fabrik gearbeitet hat, sich plötzlich auf eine gewisse Art zu kleiden beginnt, sich auf eine gewisse Art bewegt, sich an die Theken gewisser Bars lehnt?
    Man wird ihn bald in einem neuen Anzug sehen, mit Socken und einer Krawatte aus Kunstseide.
    Auch er wird bei uns enden, mit verschlagenem oder reumütigem Blick, nach einem versuchten Einbruch oder bewaffneten Raubüberfall, sofern er nicht der Legion der Autodiebe beigetreten ist.
    Gewisse Zeichen trügen nie, und diese Zeichen haben wir erkennen gelernt, während wir alle die Dienstgrade durchliefen, alle die Kilometer abschritten, von einem Stockwerk zum anderen kletterten, in jede Art von Behausung und in jede Menschenmenge eindrangen.
    Deshalb haben wir uns über den Spitznamen ›Nagelsocken‹ nie geärgert. Ganz im Gegenteil.
    Am Quai des Orfèvres gibt es wenige Beamte über vierzig, die nicht zum Beispiel sämtliche Taschendiebe persönlich kennen würden. Man weiß sogar, wo man diese wann und an welcher Zeremonie oder Galavorstellung finden kann.
    So wie man sehr wahrscheinlich weiß, daß in nächster Zeit ein Juwelendiebstahl verübt wird, weil ein Spezialist, der sich selten auf frischer Tat ertappen läßt, in finanzielle Bedrängnis geraten ist. Er hat sein Hotel am Boulevard Haussmann mit einer bescheideneren Unterkunft in der Gegend der République vertauscht. Seit vierzehn Tagen hat er die Hotelrechnung nicht bezahlt. Die Frau, mit der er zusammenlebt, beginnt ihm Szenen zu machen und hat sich seit langem keinen neuen Hut mehr gekauft.
    Man kann ihn nicht auf Schritt und Tritt beobachten, denn es gäbe nie genug Polizisten, um alle Verdächtigen zu überwachen. Aber man behält ihn an der Leine. Die Männer vom Streifendienst wissen, daß sie die Juweliergeschäfte besonders scharf im Auge behalten müssen.
    Man weiß, wie er operiert. Man weiß, daß er nicht anders operieren wird.
    Es klappt nicht immer. Das wäre zu schön. Es kommt aber vor, daß er in flagranti ertappt wird. Es kommt vor,

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