Maigret - 70 - Maigret und der Messerstecher
dem Kommissar wieder.
»Der auf dem obersten Bild ist es. Ich habe ein Kreuz auf die Rückseite gemacht.«
»Bist du dir ganz sicher?«
»Hundertprozentig. Auf dem Foto ist er nur drei oder vier Jahre jünger. Aber er sieht immer noch genauso gut aus.«
»Geh wieder rüber.«
»Der Striptease wird gleich anfangen … Wir mussten übrigens Champagner bestellen. Etwas anderes gibt’s nicht …«
»Schon gut … Wenn irgendetwas Wichtiges passiert, vor allem, wenn Branchu die Stadt verlassen sollte, ruft mich unbedingt an.«
Im Taxi sah er sich das angekreuzte Foto an. Der Mann sah deutlich besser aus als die anderen. Sein Blick hatte etwas Freches, Sarkastisches. Ein hartgesottener Bursche, der an gewisse Gangster aus Korsika oder Marseille erinnerte.
Maigret schlief unruhig. Lange vor neun Uhr war er im Büro und schickte Janvier zum Erkennungsdienst.
»Hat es geklappt? Ich hatte keine allzu großen Hoffnungen. Die Beschreibung war ja ziemlich ungenau …«
Eine Viertelstunde später kam Janvier mit einer Karteikarte wieder.
Mila, Julien Joseph François. Geboren in Marseille. Barkeeper. Unverheiratet. Größe …
Es folgten die verschiedenen Körpermaße des Mannes. Als letzter Wohnsitz war eine Pension in der Rue Notre-Dame-de-Lorette verzeichnet.
Vor vier Jahren war er wegen eines bewaffneten Raubüberfalls zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Das Ganze hatte sich in einem Vorort, am Eingang zu einer Fabrik abgespielt. Der Geldbote hatte rechtzeitig die Nebelkerze in seinem Köfferchen zünden können, und ein Verkehrspolizist hatte es gesehen. Verfolgungsjagd. Das Auto der Räuber war schließlich an einem Laternenpfahl gelandet.
Mila war glimpflich davongekommen, zum einen, weil er behauptet hatte, nur ein Helfershelfer gewesen zu sein, zum anderen, weil die Täter nur Spielzeugpistolen benutzt hatten.
Maigret seufzte. Er kannte sich zwar aus mit Berufsverbrechern, aber sie hatten ihn nie sonderlich interessiert. Für ihn war es reine Routine, eine Art Spiel, das seine festen Regeln kannte, bei dem aber auch geschummelt und betrogen wurde.
War es denkbar, dass ein Mann, der bei einem Raubüberfall eine Spielzeugpistole benutzt hatte, nun zweimal mit einem Messer über einen jungen Mann herfiel, nur weil dieser vielleicht Bruchstücke eines kompromittierenden Gesprächs auf Band hatte? Und dass dieser Mörder, als der junge Mann am Boden lag, es nicht der Mühe wert fand, das Gerät mitzunehmen oder das Band zu zerstören?
»Verbinden Sie mich bitte mit Untersuchungsrichter Poiret … Hallo … Danke … Monsieur Poiret? Hier Maigret. Herr Richter, unsere Untersuchungen sind an einem Punkt angelangt, an dem Verschiedenes zu besprechen wäre … In einer halben Stunde? … Danke … Ich bin in einer halben Stunde bei Ihnen im Büro …«
Plötzlich kam die Sonne heraus. Sollte sich, pünktlich zum 21. März, der Frühling doch noch einstellen? Mit Milas Bild in der Tasche begab sich Maigret zum morgendlichen Rapport beim Chef.
Es war ein Tag mit ständigem Kommen und Gehen, mit Anrufen und vorbereitenden Maßnahmen. Die Diebesbande, von der man erst drei Mitglieder ausgemacht hatte, nämlich Mila, Branchu und eine dritte, noch nicht identifizierte Person, plante offenbar einen Einbruch in einen Landsitz im Umland von Paris.
Nun reichte aber der Arm der Kriminalpolizei vom Quai des Orfèvres nicht weiter als bis zu den Stadtgrenzen von Paris. Jenseits dieser Grenzen war die in der Rue des Saussaies ansässige Sûreté Nationale zuständig. Also rief Maigret, nach Rücksprache mit dem Untersuchungsrichter, seinen dortigen Amtskollegen an.
Es war Kommissar Grosjean, ein Kriegsveteran, der etwa in Maigrets Alter war und wie dieser immer die Pfeife im Mund hatte. Er stammte aus dem Cantal und hatte sich den köstlich derben Akzent von dort bewahrt.
Sie trafen sich kurze Zeit später im weitläufigen Gebäude der Rue des Saussaies, das bei den Angehörigen der Kriminalpolizei »die Fabrik« hieß.
Nachdem ihn Maigret eine Stunde bearbeitet hatte, erhob sich Grosjean brummend:
»Wenigstens pro forma muss ich meinen Chef unterrichten …«
Als Maigret sich auf den Weg in sein Büro machte, war die Sache perfekt. Nicht unbedingt so, wie er es sich selbst vorgestellt hätte, sondern eben so, wie man in der Rue des Saussaies zu arbeiten gewohnt war.
»Und, wie sieht’s aus?«, fragte Janvier, der währenddessen mit den Inspektoren in der Rue du Faubourg
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