Maigret und das Schattenspiel
krankhaftes Aufleuchten huschte.
Madame Martin hatte plötzlich den Faden verloren. Sie wurde unruhig.
»Jetzt werden Sie meine Situation verstehen können … Gewiß, Couchet hat wieder geheiratet. Aber das ändert nichts daran, daß ich seine Frau gewesen bin, daß ich zu ihm hielt, als er noch in den Anfängen steckte. Und das bedeutet, daß ich die härtesten Jahre seines Lebens mit ihm geteilt habe. Die andere ist nichts weiter als ein Püppchen …«
»Werden Sie Erbansprüche geltend machen?«
»Ich?« rief sie voller Entrüstung. »Für nichts in der Welt wollte ich etwas von seinem Geld haben! Wir sind nicht reich. Martin fehlt es an Initiative, er versteht es nicht, vorwärtszukommen, und er läßt sich von Kollegen, die weniger intelligent sind als er, die Butter vom Brot nehmen … Aber selbst wenn ich putzen gehen müßte, um leben zu können, würde ich niemals …«
»Haben Sie Ihren Mann zu Roger geschickt, um ihn zu benachrichtigen?«
Sie wurde nicht blasser, denn das wäre unmöglich gewesen. Ihre Gesichtsfarbe blieb unverändert ein einförmiges Grau. Aber ihr Blick war noch verstörter.
»Woher wissen Sie?«
Und plötzlich, aufgebracht:
»Ich hoffe, daß man uns wenigstens nicht beobachten läßt? Sagen Sie … das wäre wirklich die Höhe! Wenn das der Fall wäre, würde ich nicht zögern, mich an höchster Stelle zu beschweren …«
»Beruhigen Sie sich, Madame. Ich habe nichts dergleichen gesagt. Ich habe Monsieur Martin ganz zufällig heute morgen getroffen …«
Aber sie blieb mißtrauisch und beobachtete den Kommissar feindselig.
»Ich werde es schließlich noch bereuen, gekommen zu sein! Da will man besonders korrekt sein, und statt daß man einem dankbar dafür ist …«
»Ich versichere Ihnen, daß ich Ihnen für diesen Besuch sehr dankbar bin …«
Aber sie spürte deutlich, daß irgend etwas nicht recht lief. Dieser große, breitschultrige Mensch mit dem zu kurzen Hals, der sie mit unschuldigem, beinahe gedankenleerem Blick betrachtete, machte ihr Angst.
»Es ist jedenfalls besser, wenn ich rede«, sagte sie mit schriller Stimme, »als wenn die Concierge es tut. Und Sie hätten schließlich doch erfahren …«
»… daß Sie Couchets erste Frau waren …«
»Haben Sie die andere gesehen?«
Maigret hatte Mühe, nicht zu lächeln.
»Noch nicht …«
»Oh! Sie wird Krokodilstränen weinen … Aber sie wird sich inzwischen schon beruhigt haben – mit den Millionen, die Couchet verdient hat …«
Und jetzt begann sie plötzlich zu weinen, ihre Unterlippe hob sich, was ihr Gesicht veränderte und ihm etwas von seiner Schärfe nahm.
»Sie hat ihn nicht einmal gekannt, als er kämpfen mußte, als er eine Frau brauchte, die ihn ermutigte …«
Von Zeit zu Zeit entrang sich ein unterdrücktes, kaum wahrnehmbares Schluchzen ihrer mageren Kehle, die ein moiréseidenes Band umschloß.
Sie erhob sich und blickte umher, um sich zu vergewissern, daß sie nichts vergessen hatte. Sie schniefte.
»Aber das zählt ja alles nicht …«
Ein bitteres Lächeln unter Tränen.
»Ich habe jedenfalls meine Pflicht getan. Ich weiß nicht, was Sie von mir denken, aber …«
»Ich versichere Ihnen, daß …«
Es wäre ihm nicht leichtgefallen, den Satz zu beenden, wenn sie nicht selbst weitergesprochen hätte:
»Das ist mir egal. Ich habe ein reines Gewissen. Und das kann nicht jeder von sich sagen …«
Irgend etwas fehlte ihr. Sie wußte nicht, was es war. Sie blickte sich noch einmal um, hob eine Hand, wie erstaunt, sie leer zu finden …
Maigret stand auf und brachte sie zur Tür.
»Ich danke Ihnen für Ihren Besuch …«
»Ich habe getan, was ich für meine Pflicht hielt.«
Auf dem Korridor standen einige Inspektoren und unterhielten sich lachend. Madame Martin ging an ihnen vorbei, sehr stolz, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
Maigret schloß die Tür, ging zum Fenster und stieß es trotz der Kälte weit auf. Er fühlte sich erschöpft, wie nach einem anstrengenden Verhör irgendeines Verbrechers. Vor allem aber fühlte er das unbestimmte Mißbehagen in sich aufsteigen, das einen befällt, wenn man gezwungen ist, sich mit Seiten des Lebens zu beschäftigen, die man gewöhnlich meidet.
Es war nichts Dramatisches dabei, nichts Empörendes. Sie hatte nichts Außergewöhnliches gesagt. Und sie hatte dem Kommissar keine neuen Erkenntnisse vermittelt.
Und dennoch blieb von dieser Begegnung ein Gefühl des Ekels zurück.
Auf einer Ecke des Schreibtisches lag der
Weitere Kostenlose Bücher