Maigret und das Schattenspiel
stehenzubleiben …
»Hatten Sie denn Trauerkleidung zu Hause?« murmelte Maigret lauernd und stieß eine große Rauchwolke aus.
»Meine Schwester ist vor drei Jahren gestorben … Ich meine die Schwester aus Blois, diejenige, die einen Polizeikommissar geheiratet hat. Sie sehen, daß …«
»Daß?«
Nichts! Sie wollte ihn warnen! Es war Zeit, ihn merken zu lassen, daß sie nicht irgendwer war!
Sie wurde allerdings immer nervöser, weil die ganze Rede, die sie vorbereitet hatte, ihr nichts nützte, und das alles wegen dieses plumpen Kommissars.
»Wann haben Sie von dem Tod Ihres ersten Mannes erfahren?«
»Nun, heute morgen natürlich, wie alle anderen auch! Die Concierge hat mir gesagt, daß Sie mit dieser Sache befaßt sind, und da meine Situation ziemlich delikat ist … Aber das werden Sie nicht verstehen können …«
»Aber ja doch! Übrigens, hat Ihr Sohn Sie nicht gestern nachmittag besucht?«
»Was wollen Sie damit andeuten?«
»Nichts! Nur eine simple Frage.«
»Die Concierge wird Ihnen bestätigen können, daß er mich schon seit mindestens drei Wochen nicht mehr besucht hat …«
Sie antwortete kühl und reserviert, aber ihr Blick war noch aggressiver geworden. Wäre es nicht klüger gewesen, ihr die Gelegenheit zu geben, ihre vorbereitete Rede loszuwerden?
»Ich bin sehr froh, daß Sie mich aufgesucht haben; das beweist Ihren Takt und …«
Allein das Wort »Takt« veränderte etwas in den grauen Augen der Frau, und wie zum Dank neigte sie sogar ein wenig den Kopf.
»Manchmal sieht man sich einer recht schwierigen Situation gegenüber«, sagte sie. »Nicht jeder versteht das. Selbst mein Mann nicht, der mir riet, keine Trauer zu tragen! Sie werden bemerkt haben, daß ich Trauerkleidung anhabe, ohne eigentlich Trauer zu tragen. Kein Schleier, kein Trauerflor! Nur schwarze Kleidung …«
Er stimmte ihr mit einer Bewegung des Kinns zu und legte die Pfeife auf den Tisch.
»Nur weil wir geschieden sind und Raymond mich unglücklich gemacht hatte, kann ich schließlich nicht …«
Sie gewann an Selbstsicherheit. Unmerklich näherte sie sich dem vorbereiteten Monolog.
»Vor allem in einem so großen Haus, in dem achtundzwanzig Mietparteien wohnen. Und was für welche! Gegen die Leute im ersten Stock will ich ja gar nichts sagen. Obwohl auch die … Monsieur de Saint-Marc hat zwar untadelige Manieren, aber seine Frau … Die würde einen doch für alles Gold dieser Welt nicht grüßen … Und wenn man selbst eine gute Erziehung genossen hat, dann ist es einem schon recht peinlich, wenn …«
»Sind Sie in Paris geboren?«
»Mein Vater hatte eine Konditorei in Meaux …«
»Wie alt waren Sie, als Sie Couchet heirateten?«
»Zwanzig … Natürlich duldeten meine Eltern nicht, daß ich im Laden bediente … Zu jener Zeit war Couchet Reisender. Er gab vor, gut zu verdienen und einer Frau alles bieten zu können …«
Ihr Blick wurde härter, und sie vergewisserte sich rasch, daß sie keine Ironie von Maigret zu befürchten hatte.
»Ich will lieber nicht erzählen, was ich mit ihm habe durchmachen müssen! Alles, was er verdiente, vergeudete er für absurde Projekte. Damit würde er das große Geld machen, erzählte er … Dreimal im Jahr wechselte er seine Arbeitsstelle, so daß wir, als mein Sohn zur Welt kam, nicht einen Franc zurückgelegt hatten und meine Mutter die Babyausstattung kaufen mußte …«
Sie hatte ihren Regenschirm an den Schreibtisch gelehnt. Maigret dachte daran, daß sie gestern abend ebenso schroff und heftig gesprochen haben mußte, als er ihren Schatten auf dem Vorhang bemerkt hatte.
»Wenn man nicht imstande ist, eine Frau zu ernähren, dann soll man auch nicht heiraten! Das ist jedenfalls meine Meinung! Und vor allem, wenn man nicht einmal mehr seinen Stolz hat! Ich würde kaum wagen, Ihnen alle die Berufe aufzuzählen, in denen Couchet sich versucht hat. Ich habe ihm immer gesagt, er solle sich um eine seriöse Stelle bemühen, mit einem Anspruch auf Pension … Im Staatsdienst zum Beispiel! Dann würde ich wenigstens nicht ohne alles dastehen, wenn ihm etwas zustieße. Aber nein! Einmal ist er sogar mit der Tour de France mitgereist, was weiß ich, in welcher Eigenschaft. Er fuhr immer eine Etappe voraus und kümmerte sich um die Verpflegung der Teilnehmer oder irgend etwas in dieser Richtung! Und er kam ohne einen Pfennig zurück! So einer war er! Und so war das Leben, das ich bei ihm hatte …«
»Wo wohnten Sie?«
»In Nanterre! Denn er konnte sich nicht
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