Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
du sie noch alle? Ich kann
nicht mal Autofahren!“
„Das ist schnell erklärt.“
Eigentlich wollte ich sie nur
ärgern, aber auf einmal erscheint mir die Idee gar nicht so dumm. Und in der
Not frisst der Teufel bekanntlich auch Fliegen.
Bettina schaut Hilfe suchend zu
Josch. Der schiebt die Unterlippe vor und zuckt mit den Schultern.
„Och nö“, jammert sie.
Ich fahre den Polo auf die
Rückseite der Tankstelle. Hier ist die Zufahrt zur Waschanlage, die um diese
Zeit geschlossen ist. Bettina setzt sich widerstrebend auf den Fahrersitz, und
ich erkläre das Prinzip von Gas und Kupplung. Sie hört mir konzentriert zu.
Nach zweimal Abwürgen klappt das Anfahren ganz ordentlich. Hier ist nicht viel
Platz, darum schaffen wir es nur bis in den zweiten Gang. Ich sage ihr, dass
sie das echt gut macht. Josch stimmt mir zu. Natürlich ist es aberwitzig, sie
direkt auf die Autobahn zu schicken. Aber diese Nacht ist eh’ kompletter
Wahnsinn. Ich schiebe das Tape von Thriller in den Rekorder, und los
geht’s.
Bettina fährt über den Bordstein,
aber die Kurve war auch wirklich eng. Und sie hat direkt gegengelenkt! Dann
sind wir schon auf dem Zubringer.
„Gib Gas“, ermuntere ich sie.
Sie kuppelt, lautes Zwischengas,
dritter Gang.
Die Beschleunigungsspur ist nicht
sehr lang. Ein Lastwagen taucht neben uns auf. Er scheint nicht vorzuhaben, uns
rein zu lassen. Wir fahren Tür an Tür.
„Gib Gas!“, fordere ich.
Wir kommen nur langsam in Schwung,
das Spurende schnell näher.
„Scheiße!“, raunt Josch.
Sehr hilfreich. Unsere wundervolle
Chauffeurin braucht wohl ein wenig Starthilfe .
Ich stütze mich mit dem Ellbogen
auf ihr Knie und drücke kräftig zu. Der Motor röhrt auf wie eine Kaffeemühle.
Wir geben Vollgas! Das helle Flackern, das ich für den Bruchteil einer Sekunde
in Bettinas Augen sehe, verspricht mir, dass alles gut wird. Auch wenn sie das
Lenkrad umklammert, brüllt und voll auf das Spurende zuhält. Ich brülle mit.
Josch auch. Scheinbar schneckengleich kriechen wir vor, und im allerletzten
Moment reißt Bettina das Lenkrad zur Seite und wir schleudern zwischen Lkw und
Leitplanke auf die Bahn wie durch ein Nadelöhr. Der Lkw schlingert und hupt.
Wir lachen laut wie Verrückte.
Wir rasen durch die Nacht. Es gibt
kaum größere Augenblicke. Wenn alles stimmt, die richtigen Zutaten
zusammenkommen, gibt es kein Morgen und kein Gestern.
Es muss Nacht sein. Bei Tag
funktioniert das nicht. Dann siehst du zu viele Details, die dich ablenken. In
der Nacht sind die Fahrer der anderen Wagen nur Silhouetten im Gegenlicht.
Graue Katzen.
Autobahn, weil man unbegrenzt in
Bewegung bleibt wie eine Kanonenkugel. Jenseits der Scheinwerferkegel ist die
Straße ein ungewisses schwarzes Loch, auf das du mit hundertfünfzig Sachen
zuhältst. Leicht nebliges Wetter, sodass die feuchte Luft die Lichter der Autos
vor dir zerstreut wie die Atmosphäre das Sternenlicht.
Ferne Industriegebiete wirken bei
Nacht verlassen und belebt zugleich. Alles ist erleuchtet, aber niemand ist zu
sehen. Ein Stück urbane Wildnis aus Stahl, Beton und Neonlicht.
Große Fabriken, Metallkolosse, die
dampfen und Feuer speien aus mächtigen Schornsteinen wie der Schicksalsberg.
Es gibt noch Zutaten, die das
Erleben steigern. Gefühlsverstärker. Die sind der Zuckerguss, die Schokoglasur
auf dem Kuchen. Betrunken sein. Nicht so voll, dass dir schlecht ist. Bekifft
sein. Rauchen. So viele Zigaretten rauchen, dass dir die Lunge brennt. Ja, ich
weiß, das Rauchen verringert den Wiederverkaufswert des Wagens. Leck mich!
Essenzielles: die Besatzung. Es
funktioniert nicht, wenn einer zu viel quatscht. Wenn du jemanden auffordern
musst, nur für fünf Minuten die Klappe zu halten, ist es schon vorbei. Die
Magie ist verloren. Es muss von allein funktionieren. Wie durch Telepathie muss
allen klar sein, das die nächsten Minuten dem Song gehören, auch wenn er
vielleicht zu Beginn nur einem viel bedeutet. Mitsingen ist okay, kann die
Dramatik unterstreichen. Aber nicht grölen. Willst du grölen, geh zum Fußball
oder zu den Toten Hosen . Und die wirst du hier und heute garantiert
nicht hören!
Der laute Motor verschluckt die
tiefen Frequenzen der Musik wie ein Staubsauger. So entstehen neue Songs, einzigartige
Klangeindrücke, die du außerhalb eines rasenden, röhrenden Autos nicht
reproduzieren kannst.
Die Wahl der Musik? Die überlasse
ich dir. Obwohl, wem will ich hier eigentlich was vormachen? Du kannst natürlich
irgendeine
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