Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
nichtige Indie-Band hören, die gerade mit vielleicht einer Single in
Erscheinung getreten ist. Die ganz dir gehört, weil sie sonst noch keiner
kennt. Weißt du was? Du kannst Sie behalten. Hör doch richtige Musik. Springsteen. Thunder Road . Die Live Version von 75. Mein Lieblingslied, seit ich elf
bin, bis ich vierzig war. Er ist mehr als ein Lied. Es ist eine Offenbarung.
Ein Bekenntnis. Ein Versprechen. Wer das nicht hört, dem sollte man es
eigentlich auch nicht erklären. Wegen Unwürdigkeit. Darum lassen wir das auch.
Springsteen habe ich leider nicht
dabei. Im Handschuhfach sind unzählige Tapes. David Bowie? Cool!
Der Verkehr um uns verdichtet sich.
Zahllose Lkw. Soweit ich sehen kann, sind wir der einzige Pkw, der um diese
späte Stunde auf die französische Grenze zusteuert. Bettina fährt inzwischen
ganz ordentlich. Wie ein Floh zwischen Riesen lässt sie den Polo von Spur zu
Spur hüpfen. Fahrbahnmarkierungen geben die Richtung vor. Pkw hier lang. Die
Lkw-Spur staut sich. Wir haben freie Fahrt. Ich sehe den hell erleuchteten
Grenzübergang. Jetzt wird es ernst. Ich konzentriere mich auf meine Atmung,
weil ich Angst habe, wieder die Kontrolle zu verlieren. Wir haben uns
ausgedacht, dass Bettina die Sache allein durchzieht.
Ich klettere über den Sitz nach
hinten. Josch und ich kauern uns zusammen, verborgen unter Jacken. Bettina
singt. Entweder ist sie die coolste Sau der Welt, oder sie macht das, um sich
zu beruhigen. Mich beruhigt es auf jeden Fall, und ich begebe mich bereitwillig
in ihre Hände.
Mein Gefühl sagt mir, das wir bald
da sein müssen.
Warum werden wir nicht
langsamer?
Bettinas Gesang verändert sich. Sie
brabbelt:
„Ich bremse nicht! Ich bremse
nicht!“
Ihre Stimme schraubt sich mit jeder
Wiederholung in die Höhe:
„Geht beiseite! Ich bremse nicht!“
Der Motor wird lauter. Sie gibt
Gas.
Verdammt, sie dreht durch!
Ich höre Josch ängstlich wimmern,
spüre seine Hand, die meine sucht. Wir halten uns fest. Auch ich habe die Hose
gestrichen voll. Jeden Moment müssen wir durchbrechen.
„Für zweitausend Jahre
Frauenunterdrückung!“, kreischt Bettina.
„Ooooh Scheiße!“, brüllen wir im
Chor. Josch zerquetscht mir fast die Finger.
Tinas schallendes Gelächter reißt
uns aus der Schockstarre.
„Kommt raus ihr Helden“, fordert
sie uns auf.
Josch und ich schnellen hoch wie
die Kastenteufel. Und tatsächlich, die Grenze liegt ein gutes Stück hinter uns.
Bettina hat uns sauber verarscht.
„Die Grenzer waren mit den Lkw
beschäftigt. Jetzt sind wir quitt, Junge aus der Zukunft“, triumphiert sie.
Ich bin kurz sauer, aber Josch
lacht erleichtert, und ich schließlich auch. Dann bleibt mir die Luft weg, und
eine Panikattacke hämmert mich zu Boden.
Bettina entschuldigt sich
mindestens hundert Mal bei mir. Ich erkläre mindestens hundertundein Mal, dass
es okay ist. Wir sitzen zusammen hinten, Josch fährt.
„Mal angenommen, du sagst die
Wahrheit ...“, sagt sie.
„Es ist die Wahrheit!“, beschwöre
ich sie.
„Mal angenommen, du sagst echt die
Wahrheit – dann bist du ein erwachsener Mann.“
„Und?“
„Na ja“, stammelt sie. „Du hast
mich geküsst. Und mal ehrlich, du hast doch bestimmt schon Erfahrung mit…“
„Oh“, fahre ich dazwischen, um ihr
weiteres peinlich berührtes Gestammel zu ersparen. Ich beschließe, jetzt nicht
um den heißen Brei herum zu reden.
„Ja, habe ich. Aber dieser Körper
hier macht was mit mir. Ich hatte vom ersten Tag an das Gefühl, dass ich jünger
werde. Als würde sich mein Geist dem Körper anpassen. Wie ein Neustart mit
leichtem Vorsprung. Verstehst du?“
„Kein Wort“, lacht Bettina.
„Ich auch nicht“, lache ich mit.
Dann nehme ich ihre Hand.
„Betrachte mich doch einfach als
Jungen, der froh ist, mit seinem Mädchen zusammen zu sein, das er wirklich gern
hat.“
Josch dreht die Musik lauter.
„Aber deine Attacken ...“, fragt
sie.
„Die Metamorphose ist noch nicht
abgeschlossen. Ich habe große Hoffnung, dass nach dem morgigen Tag vieles
anders sein wird.“
„Ich hoffe, nicht alles wird anders
sein, Nori Greth“, sagt sie und legt ihren Kopf an meine Schulter.
Wir parken auf einem Rastplatz. Kreuz und quer liegend
wie Katzenbabys schlafen wir auf der Rückbank ein.
Samstag,
13. Juli 1985
Der Tag des Konzertes
Als ich aufwache, bin ich allein.
Draußen geht gerade die Sonne auf. Bettina und Josch haben Frühstück gemacht.
Mein Mädchen hat
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