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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Roman nicht Schrader hieß, vorne drauf stand Schrader. Und was die Autorin über die seelische Zerstörung schrieb, die das völlige Desinteresse der Mutter ihres Vaters in der fiktiven und eben doch nicht so fiktiven Familie angerichtet hatte, dann konnte das Marie Küfer alias Marianne Brandel, Kulturstaatsministerin, nicht gleichgültig sein. Es brauchte nur einem gut informierten alten Lokaljournalisten einzufallen, sie mit dieser Enkelin in Verbindung zu bringen und laut die Frage zu stellen, ob es sich mit Amt und Moral der obersten deutschen Kulturwächterin vereinbaren ließ, dass sie einst ihren Sohn verstoßen und – noch schlimmer – sich später niemals mehr um ihn gekümmert hatte.
    Und wenn die Frage aufkam, wie es damals dazu gekommen war, dass sie ins Ausland gegangen und eine frische Karriere begonnen hatte, und die alten Bilder auf tauchten von Marie im Hinterhof beim toten Benno Oh nesorg, dann würde die ganze Wahrheit ans Licht kommen. Dass sie einst Pflastersteine geworfen und »Sieg im Volkskrieg!« gebrüllt hatte, würde man ihr verzeihen. Auch konservative Politiker rühmten sich heute, damals gegen den Schah und den Muff von tausend Jahren unter den Talaren demonstriert zu haben. Es waren nicht die Schlechtesten, die dabei gewesen waren. Beilei be nicht. Cohn-Bendit saß heute im Europaparlament. Aber man würde den Kopf darüber schütteln, dass sie vor dem Prozess um den Tod von Benno Ohnesorg ins Ausland geflohen war. Für die Journaille war sie dann schnell mitverantwortlich dafür, dass die RAF entstanden war. Und sie hätte noch eins draufsetzen können: »Ja, denn das von mir gebundene Buch Schloss und Fabrik belegt, dass der Gründungstext von mir ist.«
    Dennoch erschien es mir nicht zwingend notwendig, dass Marianne Brandel deshalb einen Scharfschützen auf Lola Schrader ansetzte. Erstens war Lolas Buch in der Welt und daraus nicht mehr zu entfernen, zweitens: Marianne war heute über sechzig Jahre alt. Ein Rücktritt würde ihrer Karriere nicht mehr schaden, und wenn er schnell und mit Würde geschah, nicht einmal ihrem Ansehen.
    »Stopp!«, rief Lola.
    Ich stoppte das Menschengekasper meiner Rückenka mera auf dem Minibildschirm.
    »Zurück, weiter, nein, zurück, halt! Da!« Lola bohrte ihren weichen kurzen Zeigefingernagel in den Bildschirm. »Da ist er!« Sie zappelte regelrecht auf ihrem Sitz. Ich vergrößerte das Standbild, was es allerdings nicht schärfer machte.
    Die unten mitlaufende Uhr zeigte 20:34:56. Das war nicht der Moment, wo der Schuss gefallen war, sondern etwa eine halbe Stunde früher. In dieser Sekunde hatte gut zwei Meter hinter mir ein Mann gestanden, der trotz der hochsommerlichen Temperaturen einen Blouson trug. Sein Gesicht war deutlich zu erkennen. Es war ältlich und etwas aufgequollen, hatte ein Hängekinn und wirkte eigenartig unangenehm.
    »Kennst du den?«, fragte ich.
    »Nein, aber da, schau, was er in dem Holster unter der Jacke trägt. Also für mich sieht das wie eine Pistole aus.«
    »Cono! Mann, Lola, du bist ein Genie! Ich glaub’s nicht!« Ich raufte mir die Haare. »Es hat funktioniert. Ich bin nicht bescheuert! Lola, wir haben ihn!«
    Ich scheuchte sie in Ulm aus dem Zug und ins nächste Hotel, wo wir uns ein Zimmer nahmen und ich gleichzeitig Christoph anrief und über den Hotspot sämtliche Filmsequenzen, in denen wir diesen Mann mit dem Blouson ausgemacht hatten, an ihn und an Staatsanwältin Meisner mailte.
    Eine halbe Stunde später meldete sich Christoph aus dem Präsidium und berichtete, ein Teil der Soko sei zusammengekommen, die Großfahndung laufe. Die Einsatzleiter am Demonstrationsplatz seien informiert. Man sei gerade dabei, die Personalien aller Demonstranten aufzunehmen, was aber noch andaure, denn es seien über dreitausend Leute.
    »Dann ist also doch ein Schuss gefallen?«
    »Das darf ich dir nicht sagen. Die Ermittlungen laufen.«
    »Der Schütze kann genauso entkommen sein wie wir«, bemerkte ich.
    »Das werden wir sehen.« Die Lage sei sehr angespannt. Die Medien hätten erst gemeldet, die Polizei habe in die Menge geschossen, das habe zwar korrigiert wer den können, aber jetzt sei die Kacke am Dampfen.
    »Ihr könntet den Medien sagen, dass der Schütze hin ter Lola her ist. Dass sie seit Wochen bedroht wird, dass nach ihren Lesungen die Buchhandlungen abbrennen, all das! Das wird die Fantasie der Journaille ebenfalls ziemlich anregen.«
    »Unser Pressesprecher wird schon selber wissen, was er den Medien sagen

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