Malory
verschweigen, aber du hast mich dazu überredet. Da es nun einmal so ablief, war es zu spät, noch etwas daran zu ändern, vor allem nicht, als er noch jung war.
Aber jetzt ist er nicht mehr so jung und beeindruckbar.
Glaubst du nicht, er wäre glücklich, wenn er jetzt er-führe, daß seine Mutter noch lebt?«
»Nein, und das sagst du auch selbst. Es war früher zu spät, es ihm zu erzählen, und das ist es jetzt auch noch.
Ich mag ihn vielleicht nicht so gut kennen wie du, Jason, aber ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, daß er wütend sein wird, nicht nur auf mich, sondern auch auf dich, weil du ihn angelogen hast.«
»Unsinn.«
»Denk darüber nach, Jason. Er hat nie etwas entbehrt.
Er hatte immer eine große Familie um sich. Er hatte Dutzende von Schultern, an denen er sich ausweinen konnte, als er ein Kind war. Er hatte sogar seine Cousine Regina als Spielgefährtin, nachdem deine Schwester gestorben ist. Wenn er jedoch die Wahrheit erfährt, wird er sich vorkommen, als hätte er etwas entbehrt, verstehst du das nicht? Zumindest wird seine erste Reaktion wahrscheinlich so sein. Und dann wird er sich schämen ...«
»Hör auf! Dieser Unsinn hat vielleicht vor fünfundzwanzig Jahren gegolten, aber die Zeiten haben sich geändert, Molly. Der Bürgerliche hat seinen Platz in der Gesellschaft gefunden, in der Literatur, in den Künsten
– in der Politik. Du brauchst dich wegen gar nichts zu schämen ...«
»Ich schäme mich nicht wegen mir, Jason Malory. Aber ihr Adligen seht die Dinge anders. Das habt ihr schon immer getan, und werdet es wahrscheinlich auch in Zukunft tun. Adlige wollen nicht, daß ihr edles, aristo-kratisches Blut mit dem eines Bürgerlichen vermischt wird, zumindest nicht bei ihren Erben. Und du bist das beste Beispiel dafür. Bist du nicht hingegangen und hast die Tochter eines Earls geheiratet, eine Frau, die du kaum ertragen konntest, nur um Derek eine Mutter zu geben, während seine wirkliche Mutter in deinem Bett schlief?«
Sie hatte den Satz noch nicht ganz ausgesprochen, als sie ihn schon bereute. Sie wußte, daß er sie nicht heiraten konnte. Es ging einfach nicht. Und sie hatte sich nie bei ihm darüber beklagt, sondern einfach akzeptiert, was er ihr geben konnte, ihren Platz in seinem Leben akzeptiert. Und als er Frances heiratete, hatte sie sich gelobt, daß er nie erfahren sollte, wie sehr sie davon verletzt worden war. Sie hatte gehofft, er wür-de nie erfahren, wie sehr sie es immer wieder bedauerte, daß sie nie wirklich seine Frau sein konnte.
Aber nach einer dummen, gedankenlosen Bemerkung wie dieser ...
Bevor er ihr antworten konnte, fuhr sie in dem Bestre-ben, ihn abzulenken, fort: »Frances ist offenbar entschlossen, so oder so einen Skandal zu verursachen, Jason, und da das eine nicht schlimmer ist als das andere, weck bitte keine schlafenden Hunde. Ihr habt die meiste Zeit eurer Ehe getrennt gelebt. Jeder weiß das.
Glaubst du denn wirklich, daß man sich dann besonders darüber aufregt, wenn ihr euch scheiden laßt? Ich könnte mir vorstellen, daß die meisten deiner Freunde lediglich sagen: ›Es überrascht mich, daß ihr das nicht eher getan habt.‹ Sag ihr, daß du deine Meinung geändert hast.«
»Ich habe ihr noch keine definitive Antwort gegeben«, entgegnete er mürrisch. »Schließlich muß ich über eine solche Entscheidung ja nachdenken.«
Molly seufzte erleichtert. Sie kannte ihren Liebsten nur zu gut. An seinem Tonfall merkte sie, daß er sich ihrer Argumentation
angeschlossen
hatte.
Sie
wußte
nicht
genau, welches Argument nun ausschlaggebend gewesen war, aber sie wollte es auch gar nicht wissen – solange ihr Geheimnis gewahrt blieb.
17
Sie sah so zerbrechlich aus, wie sie dalag, die Haare feucht von Schweiß, mit Schweißtropfen auf der blas-sen Stirn und den Wangen. Ihr Atem ging stoßweise.
Aber Derek wußte, daß an Kelsey Langton nichts Zerbrechliches war. Sie hatte ein ganz schönes Temperament, auch wenn sie krank war. Er konnte sich gut vorstellen, wie sie erst war, wenn es ihr gutging.
Dabei konnte er es ihr nicht verdenken, daß sie ihn mit einem
Kerzenleuchter
angegriffen
hatte,
nach
allem,
was ihr zugestoßen war. Er hatte seinen Kutscher nach Bridgewater zurückgeschickt, um zu erfahren, was geschehen war, und dieser hatte ihm gestern abend die Geschichte erzählt. Derek hatte nicht wissen können, daß die Zofe, die er angewiesen hatte, das Lebensnotwendige in das Cottage zu bringen, bereits von der
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