Malory
nicht. »Für wessen Schulden mußtest du ein-stehen?«
Sie konnte lügen oder die Frage nicht beantworten, wie sie es auch früher schon getan hatte. Aber sie wollte ihn nicht mehr anlügen, deshalb griff sie auf ihre frühere Ausrede zurück.
»Das ist eine Privatangelegenheit, über die ich nicht sprechen möchte, wenn es dir nichts ausmacht.«
Sie sah ihm an, daß es ihm doch etwas ausmachte, und er ließ das Thema auch nicht gänzlich fallen. »Lebt deine Mutter noch?«
»Nein.«
»Dein Vater?«
»Nein.«
»Und andere Verwandte hast du nicht?«
Sie wußte, daß er versuchte, dahinterzukommen, wem sie das Geld gegeben haben könnte, aber das durfte sie nicht zulassen, deshalb sagte sie: »Derek, bitte, das Thema ist mir sehr unangenehm. Ich möchte lieber nicht darüber sprechen.«
Er seufzte und gab auf – wenigstens für dieses Mal. Sich zu ihr hinüberbeugend, tätschelte er ihr die Hand.
Wenn er sie jedoch damit hatte trösten wollen, so schien ihm das nicht auszureichen, denn er zog sie auf seinen Schoß.
Kelsey zuckte leicht zusammen, weil ihr einfiel, was das letzte Mal passiert war, als sie so dagesessen hatte. Aber Derek legte nur die Arme um sie und lehnte seine Wange an ihre Stirn. Sie saß da, eingehüllt von seinem angenehmen Duft, und spürte den beruhigenden, regelmäßigen Schlag seines Herzens.
»Ich habe das Gefühl, mein Liebling, daß wir beide uns sehr nahekommen werden«, sagte er ganz leise. »Und eines Tages wird es dir dann bestimmt nicht mehr schwerfallen, mir alles zu erzählen. Ich bin ziemlich geduldig, weißt du. Aber du wirst noch merken, daß ich auch ziemlich entschlossen sein kann.«
Hieß das mit anderen Worten, daß in naher Zukunft die gleiche Diskussion wieder stattfinden würde?
»Habe ich dir schon für die Kutsche gedankt, die du mir geschickt hast?« fragte sie ihn.
Er brach in Lachen aus, weil sie so hastig das Thema wechselte.
22
Die Schneiderin, zu der Derek mit Kelsey fuhr, war ganz anders, als sie erwartet hatte. Die Einrichtung des Ladens kam ihr äußerst elegant vor. Im vorderen Zimmer standen satinbezogene Sofas und Sessel, und dort hatte sie auch einige besonders prächtige Abendkleider ausgestellt. Außerdem lagen überall Kataloge mit der neuesten Mode. Es war ein bequemes Zimmer für die Herren, die warten wollten, während die Damen ihre Wahl trafen.
Und der Laden wurde von Damen besucht. Dann jedoch stellte Kelsey fest, daß Mrs. Westerbury über zahlreiche private Anproberäume verfügte, so daß sie die vornehmeren Kundinnen von den weniger vornehmen trennen konnte. Sie wollte in erster Linie Geld verdienen und keine Urteile fällen. Also lehnte sie keine Kundin ab, weil sie ihren Lebenswandel mißbilligte, sie schlug höchstens einigen vor, besser eines der Hinterzimmer als den vorderen Raum aufzusuchen.
Da sie sah, daß das Etablissement eher die Oberschicht der Londoner Gesellschaft ausstattete, war sich Kelsey nicht mehr so sicher, welche Kleider sich Derek für sie vorstellte. Allerdings konnte die Tatsache, daß er sie hierhergebracht hatte, auch einfach nur bedeuten, daß er keine anderen Schneiderinnen kannte.
Sie beschloß, die Angelegenheit vollkommen ihm zu überlassen, und sagte ihm das auch. Damit hatte er nicht gerechnet, aber er nahm die Verantwortung an und führte ein Gespräch unter vier Augen mit Mrs. Westerbury. Als er zurückkam, teilte er ihr mit, daß er sie kun-digen Händen überlassen wolle und in ein paar Stunden zurückkäme.
Das sagte natürlich überhaupt noch nichts aus, und Kelsey hatte immer noch keine Ahnung, was sie nun eigentlich bestellen sollte. Aber die Schneiderin wußte hoffentlich
Bescheid,
und
hoffentlich
würde
Kelsey
keine böse Überraschung erleben. Derek hatte nach dem Gespräch leicht verlegen gewirkt, der Röte seiner Wangen nach zu urteilen. Er war allerdings dann auch rasch geflohen.
Mrs. Westerbury kam bald zurück und führte Kelsey in einen der hinteren Räume ihres Ladens zum Maßnehmen und Auswählen. Sie ließ durch keinen einzigen Blick erkennen, daß Derek ihr gesagt hatte, Kelsey sei seine Mätresse und sie möge sie entsprechend ausstatten.
Das Maßnehmen dauerte nicht lange. Eine der Gehil-finnen schlang ihr Maßband um Kelseys Hüften, nahm die Beinlänge ab und machte sich rasch Notizen, wobei sie die ganze Zeit liebenswürdig plauderte. Die Auswahl der Stoffe, Schnitte und Accessoires hätte jedoch den ganzen Tag lang dauern können, da Mrs. Westerbury über
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