Malory
gelungen, ihren Onkel Edward zu überreden, sie dieses eine Mal ohne Anstandsdame ausgehen zu lassen. Seit der Verlobungsfeier waren keine Nettigkeiten zwischen ihr und Nicholas ausgetauscht worden.
Worauf sie auch gehofft haben mochte - sie war bereits jetzt enttäuscht. Während der kurzen Fahrt waren sie in seiner geschlossenen Kutsche allein gewesen, und er hatte nicht versucht, sich ihr zu nähern, und kein einziges Wort gesagt.
Sie warf einen verstohlenen Blick auf ihn, als sie nebeneinander zum Musikzimmer schlenderten, in dem ein junges Paar, Freunde von Nicholas, die rund zwanzig Es-sensgäste unterhielt. Nicholas sah an diesem Abend in einem dunkelgrünen Jackett mit langen Schößen, einer be-stickten cremefarbenen Weste und einem Rüschenhemd ganz besonders attraktiv aus. Seine Krawatte war lose gebunden, und er trug lange Hosen anstelle der Kniebund-hosen mit den Seidenstrümpfen, die von modebewußten Männern als Abendgarderobe bevorzugt wurden. Der Stoff schmiegte sich an seine langen Beine und zeigte deutlich die kräftigen Schenkel und Waden. Es brachte sie schon in Verlegenheit, seinen hochgewachsenen, anmuti-gen Körper auch nur zu betrachten.
Sein Haar war kurz geschnitten, leicht gewellt und zerzaust. Durch das Dunkelbraun zogen sich so viele goldene Strähnen, daß seine Haarfarbe zum Kupfer und manchmal sogar zum Blond tendierte. Sie wußte, wie weich sich sein Haar anfaßte, und sie wußte auch, daß seine Lippen weich und zart waren und nicht der dünne, starre Strich, den sie in letzter Zeit dort sah. Warum war er denn nicht bereit, mit ihr zu reden?
Ein Funkeln trat in ihre Augen. Sie blieb mitten im Saal stehen, packte seinen Arm und zwang ihn, ebenfalls ste-henzubleiben. Er wandte sich zu ihr, und sie bückte sich, um ihren Schuh richtig anzuziehen. Unbeholfen verlor sie das Gleichgewicht und geriet ins Wanken. Nicholas griff ihr unter die Arme, um sie festzuhalten, aber sie fiel gegen ihn. Ihre Hände umfaßten seine Schultern, und während sie ihren Halt wiederfand, drückten sich ihre Brüste gegen ihn. Er schnappte nach Luft, als hätte er einen gewaltigen Hieb in die Magengrube bekommen. Hitze wallte durch seinen Körper, und das Feuer trat in seine Augen und spiegelte die eingedämmte Glut glühender Kohlen wider.
Reggie schaute ihn strahlend an. »Danke, Nicholas.«
Sie ließ ihn los und ging weiter, als wäre nichts geschehen, während er mit geschlossenen Augen und zusam-mengebissenen
Zähnen
stehenblieb
und
versuchte,
seine Selbstbeherrschung wiederzuerlangen.
Wie konnte ein so winziger Zwischenfall das strenge Regime, das er über sich selbst führte, derart ins Wanken bringen? Es war schon schlimm genug, daß ihr Anblick, ihre Stimme und ihr Duft ständig Tribute von ihm forderten, aber ihre Berührung - das war die einzige Waffe, die seine Abwehrmechanismen im Sturm durch-brach.
»Oh, sieh mal, Nicholas. Onkel Tony ist da!«
Reggie lächelte Anthony Malory quer durch den Raum an, aber ihr Lächeln galt mindestens so sehr ihr selbst wie ihm. Sie hatte gehört, wie Nicholas nach Luft geschnappt hatte, hatte gespürt, wie er zitterte, die Begierde in seinen bernsteinfarbenen Augen gesehen. Dieser trügerische Mann. . . Er begehrte sie immer noch, was er sich allerdings nicht anmerken lassen wollte, aber jetzt wußte sie es. Dieses Wissen wärmte sie innerlich und machte einen großen Teil seines abscheulichen Verhaltens ihr gegenüber wieder gut.
Nicholas holte Reggie in der Tür des Musikzimmers ein, und sein Blick fiel sofort auf den dunklen Schopf von Anthony Malory, der sich zu der Dame an seiner Seite neigte. »Was zum Teufel tut der denn hier?«
Reggie hätte am liebsten über seinen Tonfall gelacht, aber es gelang ihr mit Mühe, keine Miene zu verziehen.
»Ich habe keine Ahnung. Die Gastgeberin ist deine Bekannte, nicht meine.«
Er fixierte sie. »Solche Festlichkeiten sucht er nicht oft auf, ob er nun eingeladen ist oder nicht. Er ist gekommen, um dich im Auge zu behalten.«
»Du bist ungerecht, Nicholas«, schalt sie ihn. »Es ist das erste Mal, daß wir ihn treffen.«
»Du vergißt Vauxhall.«
»Also, das war wirklich ein reiner Zufall. Ich glaube nicht, daß es an jenem Tag seine Absicht war, mich im Auge zu behalten.«
»Nein, wir wissen beide, welche Absicht er damals verfolgt hat.«
»Meine Güte, du bist wirklich wütend«, murmelte sie, und dann ließ sie das Thema auf sich beruhen. Sie wußte, warum ihr Onkel hier war. Er hatte gehört,
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