Malory
nicht mehr leicht.«
Henri, oder »Onry«, wie seine englischen Freunde ihn mit Vorliebe nannten, kicherte über Arties Bärbeißigkeit, ein sicheres Zeichen dafür, daß ihm der Auftrag keine Sorgen mehr machte. »Es folgt dir also niemand?«
»Soweit ich gesehen habe, nicht. Und jetzt pack mal zu.
Du weißt, daß wir sie zart anfassen sollen.«
Sie legten Reggie auf einen gutgepolsterten Sitz und schlangen eilig ein Seil um ihre Knie, damit der Sack nicht verrutschen konnte. »Das müßte seine Laune doch deutlich verbessern, oder? Ich hätte nie geglaubt, daß wir unsere Beute so schnell fangen.«
»Gib es auf, Frenchy. Du kannst sagen, was du willst, und doch wird dich niemand für einen Engländer halten.
Wozu probierst du es also noch? Ich wette, du dachtest schon, wir würden wochenlang in diesen Wäldern sitzen.«
»Hast du das etwa nicht geglaubt?«
»Ja, aber ich sagte dir doch, es würde sich auszahlen, wenn wir abwarten, ob sie uns nicht direkt in die Arme läuft. Ganz schön Glück gehabt, was? Wenn das den Captain nicht freut, dann frage ich mich, was ihn überhaupt freuen soll.«
»Mit dem kleinen Fisch fangen wir den größeren.«
»Wie recht du doch hast! Hoffen wir nur, daß das auch nicht allzu lange dauert.«
»Willst du hinten bei ihr sitzen, damit sie nicht vom Sitz fällt, oder willst du vielleicht, daß ich...«
»Das Vergnügen gönne ich dir. Ich traue dir nicht zu, daß du dieses wacklige Landschiff in einem Stück aus diesen Wäldern bringst. Das ist doch wohl eher meine Aufgabe.« Er kicherte in sich hinein. »Diese Arbeitsteilung scheint dir zu behagen?«
»Wie du willst, Artie.« Der junge Franzose grinste den Engländer breit an.
»Aber komm mir bloß nicht auf die Idee, dich an der Kleinen zu vergreifen, Kumpel. Das würde dem Captain gar nicht passen«, sagte der Mann ernst, ehe er wieder auf den Kutschbock stieg. Der Wagen fuhr holpernd los.
Reggie schwirrte der Kopf. Es mußte sich um eine schlichte Entführung handeln. Sobald das Lösegeld bezahlt war, würde man sie wieder nach Hause bringen.
Kein Grund zur Sorge.
Sie wünschte, ihr Körper hätte es auch so gesehen.
Doch der zitterte fürchterlich. Sie brachten sie zu einem Captain, der nicht wollte, daß sie roh behandelt wurde. Ja, eine Entführung. Und er war ein Schiffskapitän, vermutete sie, denn in Southampton gab es einen großen Hafen.
Schließlich hatte Nicholas dort selbst seinen eigenen Schiffahrtsbetrieb.
Sie zwang sich, jedes Wort zu überdenken, das bisher gesagt worden war. Was hatte das mit dem kleinen Fisch zu bedeuten, mit dem sie den größeren Fisch fangen wollten? Sie strengte sich an, jeden einzelnen Laut und jede Bewegung wahrzunehmen.
Es dauerte nicht länger als eine halbe Stunde, bis sie die Geschwindigkeit verlangsamten, und sie wußte, daß sie in Southampton waren.
»Noch ein paar Minuten, chérie, und dann hast du es bequemer«, versicherte ihr derjenige, der sie gefangenge-nommen hatte. »Dann sind wir drinnen.«
›Drinnen?‹ Nicht ›an Bord‹? Aber schließlich war er Franzose, und daher konnte sie nicht wissen, wie wörtlich sie diese Dinge nehmen mußte. Ach, du meine Güte. Der Sack, der über ihrem Cape hing, trieb ihr den Schweiß aus allen Poren. Und sie hatte geglaubt, wenn sie erst erwachsen war, würde sie keine Abenteuer mehr erleben...
Die Kutsche hielt an, und sie wurde behutsam heraus-gehoben, doch diesmal trug der Engländer sie. Es waren keine Wassergeräusche zu hören, keine Wellen, die gegen einen Schiffsrumpf schwappten, kein Knirschen von Planken. Wo waren sie? Sie wankten nicht über eine Schiffsbrücke, aber die Schritte stiegen höher. Dann wurde eine Tür geöffnet.
»Da schlägt es doch dreizehn, Artie! Du hast sie schon?«
»Ballast, den ich abwerfen will, ist das jedenfalls nicht.
Wo soll ich sie ablegen, Kumpel?«
»Oben ist ein Zimmer für sie hergerichtet worden.
Warum läßt du mich die Kleine nicht tragen?«
»Ich kann dir eins auf's Ohr geben, ohne sie dabei fallen zu lassen. Willst du es sehen?«
Ein tiefes Lachen war zu vernehmen. »Du bist viel zu heikel, Artie. Komm, ich zeige dir ihr Zimmer.«
»Wo ist der Captain?«
»Der wird vor heute abend nicht erwartet. Ich schätze, das heißt, daß ich mich um sie kümmern soll, oder?«
»Hör dir diesen jungen Gockel an, Onry!« rief Artie.
»Für nichts auf Erden lassen wir dich mit so was wie der hier alleine, Kerlchen. Du bist hier der einzige, der glauben könnte, daß er
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