Malory
heil davonkommt, wenn er sie be-tatscht, weil der Captain dein Alter ist. Daran brauchst du gar nicht zu denken, solange ich da bin.«
»Ich habe nur gesagt, ich würde mich um sie kümmern
- aber nicht so, wie du's meinst«, entgegnete der Junge.
»Errötet der Kleine, Onry? Ist das wirklich ein Erröten, was ich da erkenne?«
»Lauf los, mon ami«, riet Henri dem Jungen. »Heute ist nicht mit ihm zu spaßen.«
»Ich will sie wenigstens sehen.«
»Das ist eine Hübsche, Kerlchen.« Artie grinste. »Wenn sie dem Captain erst unter die Augen kommt, könnte es sogar sein, daß er ganz vergißt, weshalb er sie ursprünglich haben wollte. Kann sein, daß er sie für sich behält. Das könnte durchaus sein.«
Sie trugen sie zu ihrem Zimmer, und dort wurde sie auf die Füße gestellt. Sie wankte und fiel fast hin. Das Seil um ihre Knie wurde entfernt, der Sack über ihren Kopf gezogen. Aber in dem kleinen Zimmer mit den zugenagelten Fenstern war es so dunkel, daß sie im ersten Moment Mühe hatte, etwas zu erkennen.
Ihre erste Tat bestand darin, tief Luft zu holen. Dann ge-wöhnten sich ihre Augen an das Dämmerlicht, und sie richtete ihren Blick auf die drei Männer, ihre Entführer und den Jungen, die auf die Tür zugingen. Der jüngste sah sie über die Schulter an, und sein Mund stand sperr-angelweit offen.
»Einen Moment, bitte!« rief sie den Männern nach, als sie die Tür erreichten. »Ich verlange zu wissen, warum ich hierhergebracht worden bin.«
»Das wird der Captain Ihnen sagen, wenn er wieder da ist, Mylady.«
»Und wer ist der Captain?«
»Namen spielen keine Rolle«, antwortete der dreistere von beiden, wobei er ihren hochmütigen Tonfall mit einem besänftigenden Grinsen quittierte.
»Aber ich kenne Ihren Namen, Artie - und Ihren Namen, Henri. Ich habe sogar...« Sie unterbrach sich, ehe sie ihnen erzählte, daß sie die beiden schon skizziert hatte.
»Ich wünsche zu erfahren, warum ich hier bin.«
»Sie müssen warten, bis Sie mit dem Captain reden. Im übrigen steht eine Lampe auf dem Tisch, und bald gibt es auch was zu essen. Setzen Sie sich doch einfach, und machen Sie sich's gemütlich.«
Sie wirbelte wütend herum und kehrte ihnen den Rük-ken zu. Die Tür wurde geschlossen, und ein Schlüssel drehte sich im Schloß. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus.
Wie hatte sie bloß den Mut aufgebracht, so herablassend mit ihnen zu reden? Es waren finster wirkende Gestalten, und das auch, wenn sie mit ihr plänkelten und mit be-schwichtigenden,
einschmeichelnden
Stimmen
auf
sie
einredeten. Zumindest hatte sie ihnen gegenüber keine Angst gezeigt, das bereitete ihr eine gewisse Genugtuung.
Sie konnten lange warten, bis ein Malory klein beigab.
Sie sank erschöpft auf einen Stuhl aus Weidengeflecht und fragte sich mutlos, ob dies wohl für lange Zeit der letzte Moment war, in dem sie diese Genugtuung verspürte.
24.
Das Essen war so köstlich, daß Reggie es trotz ihrer Nervosität bemerkte. Sie aß eine üppige Portion Taubenpastete, Reispudding und Safrankuchen. Auch der Wein war deli-kat. Aber sowie sie nicht mehr durch die Mahlzeit abgelenkt wurde, machte sie sich wieder Sorgen.
Henri hatte ihr das Essen gebracht, in einem auffälligen Rüschenhemd aus Seide, einer schwarzen Kniebund-hose, hohen Stulpenstiefeln und einer langen Weste, die einem Frack glich. Meine Güte, jetzt fehlt ihm nur noch ein Ohrring, hatte sie gedacht. Sogar rasiert hatte er sich, abgesehen von seinem säuberlich gezwirbelten Schnurrbart. Weshalb bloß?
In was war sie denn nun schon wieder geraten? Er hatte Frauenkleidung, die brandneu aussah, auf dem Bett ausgebreitet - einen seidenen Morgenmantel, ein eher züchtiges Leinennachthemd, fellbesetzte Pantoffeln und, was ihr wirklich peinlich war, auch Unterwäsche. Auf einer Frisierkommode standen oder lagen Toiletteartikel bereit
- Kamm und Bürste und ein sehr teures Parfüm, ebenfalls alles ganz neu.
Der junge Mann war am frühen Nachmittag hereinge-kommen, um ein Feuer anzuzünden, und Artie hatte an der Tür Wache gehalten und sie furchtsam angelächelt.
Frostig hatte sie seinen Blick erwidert und den Jungen vollkommen ignoriert.
Inzwischen war es Nacht geworden, aber sie weigerte sich, das breite Bett zu benutzen. Sie würde, wenn es sein mußte, die ganze Nacht über wach bleiben, aber sie dachte gar nicht daran, sich häuslich einzurichten, ehe sie den Captain getroffen und ihm ihre Meinung gesagt hatte.
Sie legte einige der Holzscheite nach,
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