Malory
aussah. Lucy kümmerte sich immer um Dannys Haar, wenn sie allein waren, und schnitt es ihr kurz. Da sie jedoch nicht besonders gut mit der Schere umgehen konnte, waren Dannys Haare meistens ungleich lang. Doch was ihre Frisur anging, war Danny nicht eitel; außerdem sah man ohnehin nicht viel von ihrem Haar, wenn sie ihren Hut trug, den sie im Augenblick schmerzlich vermisste.
Anrühren würde sie nichts. Sie wollte nicht einmal etwas anschauen, so nervös war sie plötzlich. Das Ganze war keine gute Idee gewesen. Hatte sie, als sie noch mit Malory unterwegs gewesen war, nicht gedacht, dass es zu gefährlich war, sich mit ihm anzulegen? Vor lauter Zorn hatte sie das ganz vergessen, aber nun, da sie so nervös war, fiel es ihr wieder ein.
Sie wandte sich zum Gehen; das war das Klügste. Doch der Spiegel an der Wand neben der Tür ließ sie innehal-ten. Er war nicht sehr groß und hing über einem kleinen Tisch, auf dem lediglich ein Teller mit zwei Kärtchen stand. Ihr eigener Anblick hatte sie aufgehalten – und fasziniert.
Nur selten hatte sie überhaupt die Gelegenheit, in einen Spiegel zu schauen. In den Häusern, die Dagger mietete, gab es nie welche, ebenso wenig wie in den Zimmern des alten Gasthauses, in denen sie auf Beutezug gegangen war. Zumindest hatte sie dort im Dunkeln nie welche gesehen. Dieser hier zeigte sie von der Taille aufwärts, und ohne den flotten Herrenhut wurde erst richtig deutlich, wie schön sie war. Erstaunlich, dass überhaupt noch jemand sie für einen jungen Mann halten konnte. Was ein Paar Hosen doch für einen ersten und bleibenden Eindruck hinterließ. Na ja, und ihre flache Brust tat wahrscheinlich ein Übriges.
Danny hatte immer befürchtet, sie würde einmal so üppige Brüste bekommen wie manche Frauen und sie nicht verbergen können. Doch sie hatte Glück: Ihre Brüste waren nur mittelgroß, gerade eine Hand voll, und ließen sich dank Lucy mit Leichtigkeit kaschieren.
Mit Leichtigkeit deshalb, weil einer der wenigen gut betuchten Kunden Lucys ein Korsett zurückgelassen hatte. Sie hatten ein bisschen darüber gelacht, dass ein Mann so etwas trug, aber dann war Lucy der Gedanke gekommen, dass das Ding Danny in ein paar Jahren gute Dienste leisten konnte. Und genau das tat es auch. Eigentlich wurde das Korsett um die Taille getragen, doch Danny war so schmal, dass es ihr um die Brust passte. Sie schnürte es nur vorne zusammen statt am Rücken, sodass sie es alleine anziehen konnte.
Die Stangen waren ziemlich steif, aber von ausgezeichneter Qualität, und der Überzugsstoff war so weich, dass Danny kaum etwas spürte, wenn sie das Korsett trug. Auf jeden Fall begradigte es ihre Kurven perfekt. Das Korsett und die etwas krumme Haltung, die sie sich angewöhnt hatte, waren alles, was sie brauchte, um so flachbrüstig wie ein junger Mann auszusehen.
Das Geräusch von Schritten, die die Treppe herunter-kamen, erinnerte Danny daran, dass sie schon längst nicht mehr hier sein wollte. Viel zu lange hatte sie he-rumgetrödelt und sich im Spiegel beäugt. Nun wandte sie sich gar nicht mehr zurück, um zu sehen, wer dort kam, sondern griff rasch zur Türklinke.
»Sie gehen?«, fragte die junge Frau. »Gut. Er kann Sie jetzt ohnehin nicht empfangen. Er hat gerade Damenbesuch. Ich hatte die beiden gar nicht hereinkommen hören, aber in diesem Teil des Hauses bin ich auch nicht oft. Das Personal hier ist zu knapp; sonst hätte ich überhaupt nicht die Tür geöffnet.«
Danny fuhr herum. Es wäre nicht nötig gewesen, ihr das alles zu erzählen; vermutlich hatte die junge Frau nur einmal jemandem ihr Leid klagen müssen. Ihr Ton war ziemlich verdrießlich gewesen.
»Sie sind das Hausmädchen?«
»Nein, wir haben noch kein Hausmädchen, nicht einmal einen Lakaien, der die Türen öffnet, und erst recht keinen Butler. Ich arbeite in der Küche. Und jetzt gehen Sie besser. Kommen Sie später noch einmal; dann dürfte Lord Malorys Damenbesuch gegangen sein.«
Gerade wollte Danny diesen Rat befolgen, als ihr Magen knurrte. Sie sollte sich halb verhungert noch ein paar Stunden herumtreiben, während Malory sich mit irgendeiner Dame im Bett vergnügte? Einen Teufel würde sie tun! »Ich warte hier, wenn es Ihnen recht ist. Ich müsste den Lord so bald wie möglich sprechen; es ist wichtig.«
»Wie Sie wünschen. Dann können Sie auch in den Salon gehen, gleich hier durch. Erwarten Sie aber nicht, dort eine Sitzgelegenheit zu finden. Das Haus ist noch nicht vollständig
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