Mama muss die Welt retten - wie Mütter vom Wickeltisch aus Karriere machen
An diesem Tag schmeckten ihm ganz plötzlich seine sonst so geliebten Brokkoli-Nudeln nicht. Er weigerte sich, in seinen Buggy zu steigen, machte sich steif wie ein Brett und schrie. Dann kniff er mich beim Toben so fest in die Wange, dass ich blutete. Am Abend war ich fix und fertig, während er zufrieden schlief, als hätte er geahnt, dass Mama heute mal einen kleinen Downer hatte gebrauchen können.
6. Where’s the Daddy? Oder:
Vom Kampf mit Papa, um einen Kita-Platz und andere Formen der Bestechung
Es war der heißeste Tag des Jahres, als Maxime beschloss, das erste Mal Fieber zu bekommen. Erst merkte ich dank der Außentemperaturen gar nichts. Doch als er immer quengeliger wurde und nur noch auf meinem Arm sein wollte, holte ich doch mal das Fieberthermometer ’ raus und brachte ihn zum Kinderarzt. Maximes Pech und mein Glück! Denn da traf ich Theresa.
Das Wartezimmer beim Kinderarzt ist ja eine ziemlich asexuelle Veranstaltung. In der Spielecke sitzen Mamis und Papis, denen die durchwachte Nacht ins Gesicht geschrieben steht, und die sich und ihrem Kind mit letzter Kraft noch etwas ohne Flecken angezogen haben.
Spätestens im Wartezimmer ist es dann aber bei den meisten vorbei mit der Haltung. Der Sekundenschlaf übernimmt die Kontrolle, während die Juniors zu ihren Füßen beim Kampf um den gelben Riesen-Plastikbagger munter Keime tauschen.
In dieser Umgebung, in der wir alle wie White Trash aussahen, wirkte Theresa wie falsch besetzt: Sie saß kerzengerade mit enggebundenem Zopf auf der Korbcouch, ihre rotlackierten Fingernägel umfassten ihre drei Monate alte Tochter Coco, die sie lachend auf ihrem Schoß hoch und runter hüpfen ließ.
Zugegeben, ich ergebe mich den Klischees, aber Theresa wirkte in diesem Moment auf mich mehr wie eine cooleSchönheit aus einer Berlin-Mitte-Bar, die ihr Date warten lässt, als eine Mutter dienstagmorgens beim Kinderarzt.
Wir saßen uns gegenüber, und ich lächelte sie an. Ein bisschen so, wie man es in der Grundschule gemacht hat, wenn ein neues Mädchen in die Klasse kam, mit dem man unbedingt Freundschaft schließen wollte. Und tatsächlich wechselten wir zu meiner Freude ein paar Sätze.
Ich erfuhr relativ schnell, dass Theresa Coco alleine großzieht und dass sie in der Filmbranche arbeitete. Sie drehte Werbefilme für große Markenschuhhersteller, Banken, Modelabels oder Dokumentarfilme für öffentlichrechtliche Sender. Ich war total beeindruckt. Theresa schlägt sich alleine mit Baby durchs Leben, und ich jammere schon, wenn mein Mann eine Stunde später nach Hause kommt oder wenn Maxime, wie an diesem Tag, plötzlich fiebert und wir bei 32 Grad den ganzen Tag im Bett liegen müssen. Nicht so Theresa. Theresa jammert nicht. Nie! Das weiß ich, weil wir mittlerweile tatsächlich Freundinnen und, wie sich rausstellte, sogar Nachbarinnen sind!
Sie ist einfach daran gewöhnt, sich alleine durchzuschlagen. Mit 21 Jahren schloss sie die Filmhochschule in Boston ab. Sie gehörte zu den Austauschstudenten, die nach einem Jahr in den USA nicht nach Hause zurückkehren wollten und einfach dort geblieben sind. Die einzige Bedingung, die ihr ihre Mutter stellte: Sie musste schnell studieren, es ernst meinen und ihre Kosten so gering wie möglich halten. So kam es, dass Theresa schon mit 22 Jahren einen Abschluss in der Tasche hatte und sich bei den größten New Yorker Filmproduktionen bewarb.
»Ich habe bei Google ›Filmproduktion‹ und ›New York‹ eingegeben und dann bin ich alle Adressen abgegangen«,erzählte sie mir eines Nachmittags, während sie mit ihrer Tochter Coco auf ihrem Wohnzimmerteppich Wolkenkratzer aus Klötzen baute.
Nach New York ging sie nach Buenos Aires. Und Barcelona. Sie lernte Spanisch und drehte noch mehr Filme. Bis sie nach Berlin zurückkehrte und mit 30 Jahren schwanger wurde. Schon in der Schwangerschaft ahnte sie es, nach Cocos Geburt war dann klar, dass sie alleinerziehend sein würde. Theresa hatte schon die ganze Schwangerschaft über Zeit gehabt, sich an das Gefühl zu gewöhnen: »Es wird nur sie und mich geben.« Und das war gut so.
Schon drei Wochen nach der Entbindung nahm sie Coco in einer Babytrage mit zu einem Fotoshooting und machte den ganzen Tag Bilder auf einem Berliner Hochhaus.
Natürlich hat sie ihr Back-Up-Netz aus Familie und Freunden, die sich um Coco kümmern können. Manchmal, aber auch nicht immer. Wenn man sie fragt, wie sie das alles hinbekommt, dann antwortet sie mit einem Lächeln: »Geht ja nicht
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