Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Titel: Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Gruber
Vom Netzwerk:
immer nach« einbrachte, ihn aber nicht daran hinderte, seiner Schwester bei der nächstbesten Gelegenheit wieder das Leben schwer zu machen mit seiner »Ich könnte dir zwar helfen, i mog aber ned«-Methode. Ich konnte seine Machtspielchen zwar durchaus nachvollziehen, weil ich ja selber zwei kleinere Brüder hatte, die ich in den ersten Jahren ihres irdischen Daseins nach Strich und Faden drangsaliert habe. Vor allem meinen Bruder Sepp musste dran glauben, der nach mir der Zweitgeborene war und auf den ich vom Tag seiner Geburt an sehr eifersüchtig war, weil er plötzlich der unerfindliche Grund war, warum ich die Liebe und Zuwendung meiner Eltern und Großeltern mit jemandem teilen musste. Außerdem war er der heiß ersehnte Stammhalter, Kronprinz und überhaupt: »a Bua halt«. Und ich war bloß das Mädel, der erstgeborene Ausrutscher, der Fehlversuch. Ganz so schlimm war’s zwar nicht, aber ich sah nicht ein, warum mich gerade dieses zarte Bürscherl von meinem so schön etablierten Einzelkindthron stürzen sollte.
    Trotzdem konnte ich natürlich verstehen, dass meine Cousine Claudia ob der Tratzereien ihres Bruders regelmäßig in Tränen ausbrach, weil ich als ihre Freundin und Cousine natürlich auch nicht davon verschont wurde.
    Es gab also viele gute Gründe, sich mit einem Eis zu trösten. Das Eis holten wir damals bei der Seniorwirtin, der Stiglmeier-Oma. Claudia und ich – wir müssen damals vier und fünf Jahre gewesen sein – stiefelten also im Sommer (bis weit in den Herbst hinein) täglich das Bergerl hoch zur Stiglmeier-Oma, weil wir wussten, dass wir immer ein Eis von ihr bekamen, ob wir nun zwei Mark, zwei Pfennig oder gar nix dabeihatten. Und das Beste war: Die Stiglmeier-Oma war immer da. Meistens kamen wir gar nicht bis zum Hintereingang der Wirtschaft, da kam sie uns schon aus dem Stall oder aus dem Gastraum entgegen: ein kleines, dürres Weiberl mit einem runzligen Gesicht, lustigen kleinen Augen und einem fast schon auffallend kleinen spitzig-vorwitzigen Mund. Die grauen Haare hatte sie – wie fast alle älteren Frauen damals – zum strengen Dutt frisiert, und sie trug immer dieselben Ohrringe, lange, rotgoldene Hängeohrringe, die in einem Granattropfen endeten. Sie müssen wahrscheinlich ziemlich schwer gewesen sein, außerdem nahm sie die Ohrringe ja auch nie ab, jedenfalls waren ihre Ohrläppchen so ausgeleiert, dass man durch das Ohrloch hindurchschauen konnte. Sie trug über ihrem normalen Gewand (das meist aus einem Wollkleid mit einer Bluse drunter bestand) immer eine geblümte Kittelschürze, und wenn sie mit einem redete, dann hatte sie die Daumen in die Träger ihrer Schürze eingehakt und fragte: »Wia geht’s da Oma? Und am Onkel Miche? Und san eure Leid heid beim Dreschen?« Die Stiglmeier hat mich immer fasziniert. Zum einen, weil man beim Reden nie ihre Zähne gesehen hat, was mich zu der Theorie führte, dass sie vielleicht gar keine hatte und eventuell auch gar keine brauchte, weil sie sich wahrscheinlich – wie wir Kinder – auch am liebsten von Eis ernährte, und dazu waren ja Zähne nicht unbedingt notwendig. Zum anderen schienen wir nie ungelegen zu kommen, egal, welche Arbeit sie gerade unterbrechen musste, um mit uns Kindern in den Vorratsraum zu gehen, wo die heiß begehrte Eistruhe stand. Da stand sie dann, dieses kleine runzlige Weiberl, und wartete, bis wir – wie jeden Tag – akribisch die Eiskarte studiert hatten, denn wir konnten uns meist nicht gleich entscheiden, was für ein Eis wir wollten. Und man musste natürlich auch abwägen: Wird dieses auszuwählende Eis das erste und letzte für heute sein, oder werden wir es im Laufe des Tages schaffen, noch irgendjemandem eines aus dem Kreuz zu leiern? Außerdem hatte ich gestern ein Dolomiti und die Claudia ein Capri, von dem ich natürlich auch schlecken durfte, wäre es dann heute nicht vernünftiger, einen Braunen Bär zu wählen, nicht zuletzt wegen des herrlich sahnigen Karamelkerns? Andererseits ist ein Ed von Schleck auch immer eine lustige Angelegenheit, weil man das Eis mit einem so schön kratzenden Geräusch mithilfe eines runden Steckens rauf- und runterschieben konnte. Oder sollte man – um auf Nummer sicher zu gehen – nicht gleich das größte Eis, also ein Cornetto Nuss, nehmen, aber das war andererseits auch das teuerste Eis, was aber letztendlich keine Rolle spielte, denn die Wirts-Oma gab einem immer das Eis, das man wollte.
    Einmal wollte meine Mutter der Claudia und mir Geld

Weitere Kostenlose Bücher