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Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Titel: Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Gruber
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für ein Eis in die Hand drücken, da meinten wir nur: »Geh, Mama, des brauchts ned, woasst, die Wirts-Oma, die gibt uns immer a Eis, aa ohne Geld!«
    Bei diesem Stichwort packte uns meine Mutter beide an den Händen und schleifte uns den Wirtsberg hoch, um bei der Stiglmeier-Oma zu eruieren, wie oft wir denn in letzter Zeit ein Eis von ihr geschnorrt hätten.
    Die Wirts-Oma war erwartungsgemäß voll auf unserer Seite und meinte nur: »Geh, Leni, des hob i doch gern gmacht, weils so nette Dirndl san, die zwoa. Und sie ham aa immer brav ›Danke‹ gsagt!«
    Es half trotzdem nichts. Meine Mutter rang uns trotz weiterer Abwiegelungen vonseiten der Wirts-Oma das Versprechen ab, immer vorher daheim um etwas Geld für die tägliche Eisration zu bitten. Das versprachen wir, und bekommen haben wir das Geld auch meistens. Und wenn nicht, dann boten wir eben Claudias Vater an, dass wir gern für ihn beim Wirt Zigaretten holen würden und dass wir neben den Zigaretten auch noch in der Lage wären, zwei Eis zu tragen. Wir mussten damals eine gewisse Geschäftstüchtigkeit und Berechnung an den Tag legen, denn Taschengeld gab es für uns Landkinder damals noch nicht. Jedenfalls nicht in meinem Bekanntenkreis.
    Ab und zu holten wir das Eis auch bei der Kramerin, die im Nachbarort Grucking wohnte und die aufgrund ihres Hausnamens von allen nur die Schwarzen-Kramerin genannt wurde. Dort gingen wir meistens hin, wenn wir etwas mehr Geld zur Verfügung hatten, sodass neben dem Eis sogar noch ein paar Gummischlangen oder weiße Mäuse oder Brausestäbchen drin waren. Grucking liegt nur circa einen Kilometer von Tittenkofen entfernt, und so schwangen wir uns aufs Rad, um der Kramerin einen Besuch abzustatten. Den Kramerladen hätte kein Ortsfremder je gefunden, denn er befand sich in einem ganz normalen Einfamilienhaus, und auf seine Existenz deutete lediglich die kleine Langnese-Fahne am Eingang hin. Aber jeder aus der Gemeinde wusste natürlich, wo dieser kleine Laden sich befand, den man zu jeder Tageszeit an sieben Tagen die Woche aufsuchen konnte, denn Öffnungszeiten im heutigen Sinne gab es nicht. Man läutete entweder an der Haustür oder am besten ging man gleich in den Hausflur, klopfte rechts an der Tür zur Küche der Schwarzen-Oma, und da stand sie dann: der kleinste Mensch meiner Kindheit. Ich glaube, ich kann mich an keinen Besuch bei der Schwarzen-Kramerin erinnern, wo ich – selbst im Alter von zehn Jahren – kleiner als sie gewesen wäre. Sie war sehr schmal, trug immer eine dunkle geblümte Kittelschürze, die ihr bis zu den filigranen Knöcheln reichte, eine silberfarbene runde Brille und die weißen Haare zum Dutt. Sie war immer freundlich und freute sich, wenn man sie besuchte. Dann führte sie einen sogleich in den Raum gegenüber, die Kramerei. Es gab eine niedrige Theke, die vollstand mit Gläsern, gefüllt mit Lutschern, Gummitierchen und -schlangen, Brausestäbchen, weißen Mäusen, Eiskonfekt und Kaugummis, es gab Regale voll mit Grieß, Reis, Nudeln, Suppenbrühe, Gebäck, Gelierzucker, Streichhölzern, Gefriertüten und vielem mehr – und natürlich eine Eistruhe, für die die Kramerin immer einen kleinen Schemel brauchte, damit sie das von uns gewünschte Eis herausfischen konnte.
    Die Süßigkeiten zählte sie stückweise ab und verpackte sie in selbst gemachten Stanitzen: Papiertüten, die sie in ihrer Wohnküche selber gefaltet hatte. Es gab so ziemlich alles, was man für den täglichen Gebrauch benötigte, allerdings gab es keine verderblichen Waren wie Obst, Brot, Wurst und Käse. Deshalb gab es auch keine Waage und auch keine Kasse. Die Preise der einzelnen Waren schrieb sie mit einem übergroßen Bleistift, den sie mit einem Messer anspitzte, auf kleine Pappkartons, die sie sich ebenfalls selber zurechtgeschnitten hatte. Und wenn sie einem den Endpreis nannte, bekam man immer die gleiche Frage zu hören: »Kannst as recht machen?« Denn auch Wechselgeld wollte gut eingeteilt werden. Aber da wir immer nur Kleingeld dabeihatten und uns auf der ganzen Radlfahrt jede Ahoi-Brause und jedes Gummitier ausgerechnet hatten, das mit unserem schmalen Budget zu ergattern war, hatten wir es natürlich immer passend. Wenn wir glücklich unsere Beute in Händen hielten, brachte uns die Schwarzen-Kramerin zur Tür, nicht ohne uns jedes Mal aufzufordern: »Kemmts boid amoi wieder, gell, und sagts an scheena Gruass dahoam!«
    In Grucking gab es – obwohl es nur ein kleiner Ort war – noch einen zweiten

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