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Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Titel: Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Gruber
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wie Erbstreitigkeiten zum Todesfall.

Kirchgang
    Ob ein bayerisches Kind gut erzogen war, merkte man früher daran, wie es sich während des Gottesdienstes benahm. Wenn man »a bravs Kind« war, dann hieß das, man saß neben seiner Mutter (wahlweise: Vater, Oma oder Opa) und flüsterte nur alle Viertelstunde leise der Mutter (oder neben wem von der Familie man eben saß) ins Ohr: »Mama, wie lang dauerts no?« Wenn die Frage mit »Nimmer lang« beantwortet wurde, blieb man die nächste Viertelstunde still sitzen und wartete, bis irgendwann die erlösende Schlussmusik ertönte. Dann wusste man als Kind: Jetzt erheben sich gleich alle, gehen nach draußen, wo sie einem die Wange tätscheln oder über den Kopf streicheln und sagen: »Mei, is’ des a bravs Diandl«.
    Ich weiß, Sie können sich das wohl kaum vorstellen, aber ich war tatsächlich »a bravs Diandl«. Und ausgesprochen still noch dazu. Vor allem in der Kirche. Meine Mama beziehungsweise meine Oma konnte mich immer bedenkenlos mitnehmen, weil sie beide wussten, dass von mir weder Heulkrämpfe oder Tobsuchtsanfälle noch Herumgeklettere auf den Kirchenbänken beziehungsweise Auf-und-Ab-Gerenne im Mittelgang zu befürchten waren. Ein einziges Problem gab es jedoch: Ich wollte mich während des Gottesdienstes immer gern ausziehen. Also nur den Anorak oder die Jacke natürlich, nicht die ganze Montur. Eine Angewohnheit, die sich mittlerweile zwar gelegt hat, die aber damals – selbst bei einem dreijährigen Kind – nicht tolerabel war. Vor allem meine Oma (väterlicherseits) hatte in dieser Hinsicht mit mir zu kämpfen. Sonntags beim Besuch in der Pfarrkirche von Reichenkirchen musste meine Mutter sich mit meinen exhibitionistischen Neigungen herumschlagen, aber am Montagabend war damals immer Gottesdienst im Nachbarort Lohkirchen, wo bis heute unser Familiengrab ist. Und da meine Eltern meist bis gegen 19 Uhr mit der Stallarbeit beschäftigt waren, zog mir meine Oma das Mäntelchen oder den Anorak an und machte sich mit mir gegen halb sieben zu Fuß auf den Weg zur Kirche. Ich nehme an, dass mir durch ebendiesen einen Kilometer Fußweg so heiß wurde, dass ich – kaum in unserer Stammbank in der Kirche angekommen – meine Jacke ausziehen wollte.
    Unsere Nachbarin, die Königseder Rosa oder für mich die Koni-Mama, erzählt bis heute lachend von einem dieser Montagabende in der Lohkirchner Kirche – ich muss circa drei bis vier Jahre alt gewesen sein –, als meine Oma, leise auf mich einredend, verhindern wollte, dass ich mich auszog, kaum dass der Pfarrer die ersten Worte gesprochen hatte. Irgendwann riss mir offensichtlich der Geduldsfaden, und ich sagte laut zur Oma: »Du, wennst jetzt mir den Anorak ned ausziagst, aber dann staubts amal!« Selbst diese lautstarke Ansage hat natürlich nicht dazu geführt, dass ich mich des unliebsamen Anoraks entledigen durfte. Oberstes Gebot in der Kirche war nämlich damals, sich pietätvoll zu verhalten, was natürlich auch bedeutete, dass man den anderen Gottesdienstbesuchern ein geräuschvolles An- und Auskleiden zu ersparen hatte. Es wäre ja auch schließlich niemand auf die Idee gekommen, sich in der Kirche die Schuhe auszuziehen. Also: Der Anorak blieb an. Wo kämen wir denn da hin! Damals war es nämlich noch so, dass die Erwachsenen den Kindern sagten, was sie zu tun und zu lassen hatten. Und nicht umgekehrt. Aber das ist ja auch schon fast vierzig Jahre her. Und die Zeiten ändern sich eben.
    Heute können Eltern oder Großeltern oft nur noch durch Bestechung mit mitgebrachten Gummibärchen, Zwieback, Butterkeksen oder Pixie-Büchern ihren Nachwuchs daran hindern, seinem schnell als ADHS diagnostizierten Bewegungsdrang nachzugeben. Gummibärchen und Saftfläschchen in der Kirche! Überhaupt: Während des Gottesdienstes etwas zu kauen, was keine Hostie war?! Ich glaube, zu meiner Zeit wäre man für so einen Frevel unmittelbar auf den Scheiterhaufen geschickt oder zumindest exkommuniziert worden.
    Die Montagsgottesdienste mochte ich am liebsten, weil der Herr Pfarrer am Montag nie eine Predigt hielt. Wozu auch. Der Sonntag war ja gerade mal einen Tag her, und was sollte sich sündenmäßig wohl in einem Tag so gravierend geändert haben, dass es schon einer neuen Predigt bedurft hätte?
    Auf Ostern dagegen freute ich mich nie besonders. Auf die Ostereier – besonders die schokoladenen – natürlich schon. Auf die von der Mama gebackenen Osterlamberl (Osterlämmchen) auch, zumal es immer gleich mehrere

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