Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
cetera oder finanzielle Sorgen durch Fehlinvestitionen, Kaufexzesse, Bordellbesuche, Liebschaften und so weiter) war nie genügend Zeit.
Außer wenn wieder einer der fahrenden Händler vorbeikam, der sich schon allein deshalb, weil er etwas verkaufen wollte, genügend Zeit für seine potenzielle Kundin nahm. Und wie könnte man eine Frau besser zum Kauf eines eigentlich völlig überflüssigen, weil längst vorhandenen Haushaltsartikels, Reinigungsmittels oder von Bettwäsche überreden, als sie mit dem neuesten Tratsch aus der Gemeinde zu versorgen beziehungsweise ihr quasi unter dem Siegel der äußersten Diskretion mitzuteilen, in welchem Haushalt es »zugehe wie die Sau«, weil die Hausfrau offensichtlich ein recht »gschlampertes Weiberleut« sei (was die Kundin natürlich schon immer gewusst hatte). Oder dass sich die Bäuerin S. aus H. für sündhaft teures Geld eine nagelneue Küche habe einbauen lassen – »auch noch vom Schreiner!«, und das, obwohl die alte Küche doch erst knapp 23 Jahre alt gewesen sei … und noch dazu, wo man doch wisse, dass die Bäuerin S. am Herd höchstens eine Packlsuppe warm machen könne, geschweige denn »gscheide Knödel« oder ein »resches Bratl« zustande bringe.
Als ich klein war, gab es einige solcher Händler, die regelmäßig bei uns auf dem Hof vorbeischauten. Es gab welche, auf die freute man sich, weil sie nicht aufdringlich und immer gut gelaunt waren oder weil sie etwas verkauften, was es sonst nirgends gab. Ich erinnere mich zum Beispiel an den sogenannten Kaba-Mann. Ich glaube, seinen echten Namen kannte nicht einmal meine Mama, aber wir Kinder hatten ihn Kaba-Mann getauft, weil sie bei ihm immer neben Eiernudeln einen ganzen Eimer Kaba-ähnliches Schokopulver gekauft hatte. Jawohl, einen Eimer. Den sehe ich noch heute vor mir: ein blauer Zehn-Liter-Kübel, auf dem braune Palmen abgebildet waren und – politisch unkorrekt – kleine afrikanische Kinder, damals natürlich der Inbegriff der Exotik und im Gegensatz zu heute keine Ursache für eine allgemeine Diskussion.
Wenn meine Mama einen besonders kauffreudigen Tag hatte, dann kaufte sie auch einen kleineren Eimer mit Schokopuddingpulver dazu. Das war ein Festtag. Nicht wegen des Schokoladenpuddings, den wir Kinder – wie fast alle Kinder – sehr gern mochten, klar, sondern in erster Linie, weil wir etwas wussten, was unsere Mama erst viele Jahre später erfahren sollte. In dem Eimer mit Schokopuddingpulver waren – quasi zur geschmacklichen Verfeinerung des Puddings – eine ganze Handvoll Weinbrandbohnen versteckt. Wenn man die mitgekocht hätte, wäre der ansonsten stinknormale Pudding dadurch wahrscheinlich zu einer wahren Gaumenfreude und geschmacklichen Offenbarung geworden. Dazu kam es aber im Hause Gruber nie, denn da ich immer schon gefräßig und in Sachen Süßigkeiten geradezu eine Schokoladentrüffelsau war, hatte ich die Weinbrandbohnen vor meiner Mama entdeckt. Und sobald die Lieferung vom Kaba-Mann auf uns überging, rissen wir Kinder den Kübel unter dem Vorwand an uns, dass wir ihn da deponieren würden, wo er hingehörte, nämlich in der Speisekammer. Das taten wir auch. Aber vorher öffneten wir den Eimer, ganz heimlich und leise, und stocherten mit einem hölzernen Kochlöffel vorsichtig in dem Schokopuddingpulver herum, bis wir alle Weinbrandbohnen herausgefischt und aufgefressen hatten.
Gut, Alkohol schmeckt ja den meisten Kindern nicht wirklich, doch – wie soll ich es formulieren, ohne dass Sie einen falschen Eindruck von meiner Familie bekommen – uns Kindern war der Geschmack von Alkohol jetzt nicht – wie soll ich sagen – vertraut, aber wir fremdelten auch nicht gerade. Denn wenn meine Oma väterlicherseits, die ja bei uns auf dem Hof lebte, ab und zu Besuch bekam, dann gab es meistens für Oma und Besuch ein kleines Stamperl Eierlikör. Und wir Kinder bettelten die Oma immer an, sie möge uns doch das kleine Likörglaserl, wenn sie ausgetrunken hatte, ausschlecken lassen, was wir fast immer durften. Und wenn man mit der Zunge diese zähflüssige, klebrige Eierlikörschicht von der dünnen Glaswand des geriffelten Likörglasels schleckte, das hatte schon was. Es war aber natürlich kein Vergleich zu den wunderbar knackigen Weinbrandbohnen im Schokoladenpuddingpulver. Noch heute habe ich deshalb eine große Schwäche für Weinbrandbohnen, und zwar die ganz klassischen, ohne Kirsche oder irgendwelche geschmacklichen Sperenzchen. Einfache, ehrliche Weinbrandbohnen, mmh, der
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